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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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arbeitung von Gewalt an, die nicht nur in Ruanda, sondern auch in anderen<br />

Teilen Afrikas – zum Beispiel in Kenia oder Südafrika – einen hohen Stellenwert<br />

in der öffentlichen Diskussion einnehmen.<br />

Im Nachhall auf traumatische Ereignisse werden die Erinnerungen der Täter<br />

und Opfer, der Zuschauer und Beteiligten zu umkämpften Versionen von<br />

Wahrheit. Sie werfen Fragen nach Schuld und Verantwortung auf, können<br />

eine Quelle von Macht oder von Widerstand sein. Gegenstand der Auseinandersetzungen<br />

sind nicht nur die jeweils erinnerten Vergangenheiten. Die Arten<br />

und Weisen, in denen die Vergangenheit aufgearbeitet, erinnert und interpretiert<br />

wird, spielen auch eine entscheidende Rolle, um Orientierungen für<br />

die Gegenwart und Zukunftsperspektiven zu entwickeln. 22 Erinnerungen<br />

werden nicht durch geschlossene Kollektive bestimmt, sondern sie sind fragmentiert,<br />

plural, wandelbar, fragil. Nationen als homogene Erinnerungsgemeinschaften<br />

existieren nicht. Was vielmehr existiert, ist eine Diskrepanz zwischen<br />

der von den staatstragenden Eliten gewünschten und repräsentierten<br />

nationalen Erinnerungskultur als kohärenter Einheit einerseits und den vielfältigen<br />

Facetten gelebter Erinnerungen von Menschen andererseits. 23<br />

Der französische Soziologe Maurice Halbwachs wies bereits in den 1920er<br />

Jahren darauf hin, dass individuelle Erinnerungen immer schon sozial geprägt<br />

sind. Das individuelle und das kollektive Gedächtnis – das heißt im<br />

Sinne Halbwachs’: der innerhalb sozialer Gruppen erfolgende Bezug auf<br />

Vergangenes – bildet sich durch Kommunikation und durch Interaktion im<br />

Rahmen sozialer Gruppen. 24 Ereignisse werden also verortet und gedeutet,<br />

wenn sie auch innerhalb einer kollektiven Ordnung bedeutungsvoll sind.<br />

Offizielle Erinnerungsformen grundieren und begrenzen auch die Erinnerungen<br />

einzelner Menschen. Individuelle Erinnerungen existieren nicht isoliert.<br />

Sie berufen sich auf nationale Erinnerungen, bestätigen sie, geraten mit<br />

ihnen in Konflikt, widersprechen ihnen, fallen wieder auf sie zurück – es gibt<br />

kein Entkommen. Das Nebeneinander und Gegeneinander gleichzeitiger Erinnerungsfelder<br />

sorgt für eine Vielfalt von Perspektiven, aber auch für Spannungen,<br />

Reibungen, Konflikte. 25<br />

Indem ich in meiner Arbeit die Rekonstruktion subjektiver Perspektiven<br />

mit der Analyse ihrer gesellschaftlichen Rahmenbedingen verknüpfe,<br />

möchte ich Einsichten in die für den ruandischen Kontext spezifischen Formen<br />

und Bedingungen der Gewaltverarbeitung sowie in deren genderspezifische<br />

Bedingungen gewinnen.<br />

22 Vgl. z. B. Peter Burke: Geschichte als soziales Gedächtnis. In: Aleida Assmann; Dietrich Harth (Hrsg.): Mnemosyne,<br />

Formen und Funktionen der kulturellen Erinnerung, Frankfurt am Main 1993, S. 289-304; Astrid<br />

Erll: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen, Stuttgart 2005.<br />

23 Vgl. Aleida Assmann: Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik,<br />

München 2006.<br />

24 Vgl. Maurice Halbwachs: Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen [1925], Frankfurt am Main 1985.<br />

25 Vgl. Erll 2005 (s. Anm. 22); vgl. auch Assmann 2006 (s. Anm. 23).<br />

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