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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Britta Pelters<br />

Die doppelte Kontextualisierung genetischer Daten.<br />

Gesundheitliche Sozialisation am Beispiel der Familie<br />

Schumacher-Schall-Brause<br />

Das Wissen von den »Genen« 1 ist ein verkörpertes, gesundheitsbezogenes<br />

›Verbindungswissen‹, das Formen sozialer Vergemeinschaftung beeinflusst,<br />

in seiner Wahrnehmung aber auch von diesen beeinflusst wird. Gesundheit<br />

kann daher als sozial geteiltes Erb-Gut verstanden werden, worauf zudem<br />

sowohl die Praxis der Stammbaumerhebung als auch die gewöhnliche familienbezogene<br />

Abfragepraxis des Hausarztes hinweisen. Der ›Besitz‹ von DNA-<br />

Sequenzen ist kein personales Alleinstellungsmerkmal, obwohl aus diesem<br />

in der Regel eine personalisierte Verantwortung abgeleitet wird. Diese verlangt<br />

den auf Optimierung getrimmten Mitgliedern der »Gesundheitsgesellschaft«<br />

2 eine gewinnbringende Verwaltung ihres Gesundheitspotenzials<br />

unter Zuhilfenahme des Gesundheitsmarktes ab. Im Gegensatz zu dieser<br />

isolationistischen Sicht auf Gesundheit soll anhand des Falls der von familiärem<br />

Brust- und Eierstockkrebs betroffenen Familie Schumacher-Schall-<br />

Brause 3 eine Gesundheitssozialisation dargestellt werden, die in der Spannung<br />

von Wissen und Gemeinschaft erfolgt.<br />

Grundsätzlich lassen sich zwei Formen ›genetisierter‹ Kollektive unterscheiden:<br />

Aus der traditionellen Fokussierung der Humangenetik auf familiär<br />

vererbte Erkrankungen ergibt sich die biologische Verwandtschaft –<br />

vulgo: die Familie – als relevante Gruppe. 4 Diese Gemeinschaft soll im Folgenden<br />

näher beleuchtet werden. Vor dem Hintergrund des humangenetischen<br />

Trends zur Gegenwarts- statt zur Vergangenheitsanalyse, der beispielsweise<br />

durch verstärkte epigenetische Forschung und Sequenzanalysen<br />

1 Der Gen-Begriff ist ein höchst zweifelhafter. Er repräsentiert letztlich eine Arbeitsdefinition, die aber durch<br />

ihre beständige Verwendung im (populär-)wissenschaftlichen Rahmen zur gesellschaftlich und individuell<br />

wirksamen ›Realität‹ geworden ist. Der Begriff »Gen« stellt jedoch eine Setzung dar, die je nach Kontext etwas<br />

völlig anderes bezeichnen kann. – Vgl. Silja Samerski: Die verrechnete Hoffnung: Von der selbstbestimmten<br />

Entscheidung durch genetische Beratung, Münster 2002. – Er soll jedoch im Weiteren aufgrund<br />

seiner Geläufigkeit Verwendung finden.<br />

2 Vgl. Ilona Kickbusch: Die Gesundheitsgesellschaft. Megatrends der Gesundheit und deren Konsequenzen<br />

für Politik und Gesellschaft, Hamburg 2006.<br />

3 Die Fallrekonstruktion basiert auf einem Familieninterview mit der Großmutter Johanna Schumacher (zum<br />

Zeitpunkt des Interviews 70 Jahre alt), ihren Töchtern Lydia Schall (51) und Anke Brause (45) sowie der Enkelin<br />

Lisa Aziza Schall (23), Einzelinterviews mit den drei zuletzt genannten Frauen, einer Analyse des Genogramms<br />

sowie des Kontaktablaufs.<br />

4 Vgl. Regine Kollek; Thomas Lemke: Der medizinische Blick in die Zukunft: gesellschaftliche Implikationen<br />

prädiktiver Gentests, Frankfurt am Main 2008.<br />

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