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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Zerwürfnis mit dem Parteikommunismus Zeugnis ablegen. Zusammengefasst<br />

geht es also darum, verschüttete und vergessene Erfahrungen offenzulegen<br />

und die Gründe für das Vergessen zu reflektieren.<br />

Um die Gruppe von Autobiografen zu konturieren, die die spezifischen<br />

Erfahrungen durchlebt haben, habe ich die Bezeichnung »ehemalige Kommunist_innen«<br />

gewählt. Weil diese Bezeichnung für sich einen weiten Interpretationsspielraum<br />

zulässt, will ich den Bezugspunkt, an den die Bezeichnung<br />

andockt, explizieren. Ich schließe mich mit der Kategorie der ehemaligen<br />

Kommunist_innen an eine Differenzierung von Hannah Arendt an, verwende<br />

sie aber in einem anderen Sinne.<br />

Arendt unterscheidet in ihrem Essay »Gestern waren sie noch Kommunisten«<br />

aus dem Jahre 1951 zwischen ehemaligen Kommunist_innen und<br />

Ex-Kommunist_innen. 6 Während Ex-Kommunist_innen sich nach ihrer »Bekehrung«<br />

vornehmen, den Kommunismus bis zum »Endgefecht« zu bekämpfen,<br />

haben sich die ehemaligen Kommunist_innen ins Privatleben zurückgezogen<br />

und einen neuen Lebensabschnitt begonnen, ohne den vorherigen<br />

und die darin enthaltenen Hoffnungen vollständig zu negieren. 7 Für Ex-<br />

Kommunist_innen steht der Kommunismus weiterhin im Zentrum ihres Lebens<br />

und in gewisser Weise sehen sie sich aufgrund ihres Schicksals, den<br />

Schrecken des Kommunismus unmittelbar erfahren zu haben, dazu berufen,<br />

die freie Welt gegen den Totalitarismus an vorderster Front zu verteidigen.<br />

Arendt richtet ihr Augenmerk und ihre Kritik auf die Ex-Kommunist_innen<br />

und schenkt den ehemaligen Kommunist_innen kaum weitere<br />

Beachtung. Es bleibt nur angedeutet, dass sie dieser Gruppe wohlwollend<br />

gesinnt ist. Es verdiene Respekt, dass sie ihr öffentliches Leben gegen ein privates<br />

eingetauscht haben. Der Rückzug ins Private trotze einen wesentlich<br />

höheren Verzicht ab als ein bloßer Seitenwechsel auf der politischen Bühne:<br />

»Die öffentliche Demütigung eines Bekenntnisses ist leichter zu ertragen<br />

als die vielen Demütigungen im Gefolge eines Berufswechsels. Aus dem<br />

Lichte der Öffentlichkeit zu verschwinden und ein Privatmann zu werden,<br />

6 Bei Arendt ist freilich der queer-sensitive Unterstrich nicht zu finden. Dennoch halte ich es für berechtigt,<br />

ihn (abgesehen von wörtlichen Zitaten) weiterhin zu verwenden. Auch wenn die Frage der Geschlechtsidentität<br />

in den sprachlichen Ausdruck von Arendt keinen Raum gefunden hat, kann davon ausgegangen werden,<br />

dass sie ihrem Gedanken nicht grundsätzlich entgegensteht.<br />

7 Vgl. Hannah Arendt: Gestern waren sie noch Kommunisten. Zur Erkenntnis einer gefährlichen Zeiterscheinung<br />

[1953]. In: Dies.: In der Gegenwart. Übungen im politischen Denken II, München 2000, S. 228-237, hier:<br />

S. 229. Eigentümlicherweise steht diese Einschätzung in Kontrast zu der Wertschätzung, die Arendt in ihren<br />

theoretischen Schriften dem politischen Handeln zukommen lässt. In »Über die Revolution« zitiert sie beispielsweise<br />

zustimmend einen Gründervater der Amerikanischen Revolution, für den das Politische der<br />

»Leidenschaft, sich zu unterscheiden und abzuheben«, und »dem Wunsch, nicht nur zu gleichen und gleichzukommen,<br />

sondern sich auszuzeichnen«, Raum gibt. Es scheint so, dass aus ihrer Sicht ehemalige Kommunist_innen<br />

aufgrund ihrer vorgängigen Lebensgeschichte die Möglichkeit, einen Neu-Anfang auf der politischen<br />

Bühne zu versuchen, verwirkt haben. Vgl. Hannah Arendt: Über die Revolution [1965], München<br />

1974, S. 86.<br />

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