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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Fazit<br />

Die Analyse der verschiedenen Porträts zeigt deutlich, inwiefern sich die<br />

Interessen und Motive der Fotografierenden auch in ihren Bildern niedergeschlagen<br />

haben. Das geschlossene Weltbild von Steiner spiegelt sich in einem<br />

dichten Porträtfoto voller Informationen, die in die Aussage münden: Die<br />

Juden, als Fremde, dem Volkskollektiv nicht Zugehörige, gehören hinter Stacheldraht<br />

– abgesondert von der übrigen Bevölkerung. Um anderen möglichen<br />

Interpretationen vorzubeugen, wird das Foto mittels der Bildunterschrift<br />

vereindeutigt und damit im Sinne seiner rassistischen Aussage festgelegt. Die<br />

Konstruktion der Fremdheit findet durch die fotografische Betonung bestimmter<br />

Merkmale des Mannes statt. Das unkontrollierbare Moment im Bild<br />

ist der Blick des Mannes, der an dem Fotografen vorbeiführt und so dem Bild<br />

eine Offenheit für andere mögliche Interpretationen geben könnte. Dadurch<br />

vergrößern sich allerdings die Distanz und der fehlende Bezug zwischen Fotograf<br />

und Fotografiertem. In diesem Punkt verhält es sich bei den Aufnahmen<br />

von Genewein ähnlich: Die Blicke der beiden fotografierten Männer weichen<br />

dem Fotografen aus. Auch die Fremdheit ist nach ähnlichen Mustern gestaltet.<br />

Allerdings geht es bei seinen Bildern nicht um eine Gesamtaussage. Durch die<br />

Isolierung der beiden Männer aus ihrem Lebenszusammenhang und jedem<br />

Bezug zueinander erhält das Bild einen ethnografischen Charakter. Die Darstellung<br />

der Männer als »Typen« steht im Vordergrund und verweist auf die<br />

voyeuristische Neugier des Fotografen, den die Juden vor allem als produktive<br />

Arbeitskräfte interessieren. Ganz anders ist das Bild von Grosman aufgebaut.<br />

Zwar geht auch hier der Kontext nicht aus der Aufnahme hervor –<br />

allerdings verweist das Laken auf Krankheit, Müdigkeit oder Schwäche. Der<br />

Fotografierte schaut zwar nicht zur Kamera, sondern blickt ruhig geradeaus.<br />

Dennoch entsteht durch die nahe Perspektive der Kamera der Eindruck von<br />

Nähe und Empathie. In dem Bild kommt zudem die technische und künstlerische<br />

Begabung des Fotografen zum Ausdruck. Dieses Bild entspricht dem Anliegen,<br />

all das im Ghetto zu fotografieren, was zum Leben und Alltag der Menschen<br />

gehörte – und das waren auch Krankheit und Tod. Ben-Menachem<br />

berichtet, dass viele Menschen im Ghetto Mendel Grosman kannten und von<br />

ihm fotografiert werden wollten. So erzählt er von einer Familie, die einen Wagen<br />

mit Exkrementen an Grosman vorbeizog. Dieser griff nicht zur Kamera,<br />

weil er die Degradierung dieser Menschen nicht festhalten wollte. Der Vater<br />

hielt jedoch an und bat ihn darum, ein Foto zu machen: »Let it remain for the<br />

future, let know others how humiliated we were«. 37 Erst daraufhin machte<br />

Grosman das Bild. Für heutige Betrachter/innen besteht der Wert dieser Bilder<br />

in ihrer Erinnerungsfunktion. Sie geben fragmentarische Einblicke in die vielfältige<br />

Lebenswelt des Ghettos.<br />

37 Ben-Menachem 1970 (s. Anm. 35), S. 103.<br />

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