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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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sogar, zu weiteren Treffen hierhin nach Sevota zu gehen. Und für mich kann<br />

ich sagen, dass ich angefangen habe, ihn ein bisschen zu lieben.« 11<br />

In Kigali, der Hauptstadt Ruandas, lassen sich nur noch wenige Spuren<br />

des Krieges finden. Die Straßen sind voller Menschen und Autos, zahlreiche<br />

Baustellen signalisieren Aufbruch, versprechen Wachstum. Im noch immer<br />

sichtbaren Ambiente einer afrikanischen Kleinstadt wachsen Banken und<br />

Bürokomplexe aus Stahl und Glas in den Himmel. Die Stadt scheint die Vergangenheit<br />

hinter sich lassen, am liebsten vergessen zu wollen. Längst ist in<br />

Kigali wieder normales Leben eingekehrt – nur finden sich viele Menschen<br />

darin nicht mehr zurecht.<br />

Nur wenige hundert Meter Luftlinie vom gepflegten und vorzeigbaren<br />

Stadtkern entfernt liegt in einer ruhigen Nebenstraße das Büro der Frauenselbsthilfeorganisation<br />

Amizero. Täglich gehen hier Frauen aller Bevölkerungsgruppen<br />

ein und aus. Es sind Frauen, die Arbeit suchen, junge Frauen,<br />

die allein für sich und ihre Geschwister sorgen müssen, Frauen, die kein<br />

Dach über dem Kopf haben, weil ihr Haus einem modernen Bürokomplex<br />

weichen musste.<br />

»Wir mussten bei weniger als Null beginnen. Bei Tausenden unter Null.<br />

Nicht nur, dass unsere Familien, unser Hab und Gut und unsere Existenzbasis<br />

zerstört waren, nein, das Schlimmste war der völlige Verlust des Vertrauens,<br />

in uns selbst, in unser Land, in unsere Nachbarn, in die Zukunft.<br />

Also stand ich vor der Wahl: Entweder konnte ich mich selbst umbringen<br />

oder aufhören in der Vergangenheit zu leben und mich auf das Heute konzentrieren.«<br />

12<br />

So begründet Florida Mukarubuga ihr Engagement für die Organisation<br />

Amizero, die sie seit acht Jahren zusammen mit Winnie Mupenpa leitet. Die<br />

eine der beiden Frauen hat Familienangehörige während des Genozids verloren,<br />

die andere lebt in der Nachkriegszeit ohne ihren Mann, dem eine Beteiligung<br />

am Genozid vorgeworfen wird und der danach verschwunden ist.<br />

Wie bei Sevota, so geht es auch den Frauen von Amizero darum, trotz<br />

ihrer sich immer wieder bahnbrechenden Erinnerungen an Schuld und Leid,<br />

das Misstrauen zu überwinden und neue Kooperationsformen, Möglichkeiten<br />

gegenseitiger Unterstützung zu finden. Winnie Mupenpa: »Mich interessiert<br />

nicht, ob du die Frau eines Mörders oder eine Überlebende bist. Mich<br />

interessiert der Alltag der Frauen in diesem Land. Wir müssen neu lernen,<br />

uns als Schwestern zu empfinden und wieder Vertrauen ineinander aufbauen.<br />

Nur durch Reden ist das nicht möglich.« 13<br />

11 Interview auf Kinyarwanda am 14.07.2008, übersetzt von Aloysie Uwizeyemariya.<br />

12 Interview auf Französisch am 16.07.2008.<br />

13 Interview auf Französisch am 20.06.2008.<br />

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