02.12.2012 Aufrufe

Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Ende der liberalen Kunstpolitik, die im Zuge des VIII. Parteitags 1971 als<br />

Weite, Vielfalt und Ende der Tabus proklamiert worden war. 21 Diese Politik<br />

hatte die mit dem Machtantritt Erich Honeckers eingeleitete Stärkung des<br />

Parteiapparats gegenüber der Wirtschaft flankiert. Das Programm der Einheit<br />

von Wirtschafts- und Sozialpolitik, die das Bündnis zwischen Partei und<br />

Bevölkerung erneuern sollte, 22 hatte die Ulbricht’sche ökonomische Reformpolitik<br />

der 60er Jahre liquidiert. Anwachsende Schwierigkeiten in der Wirtschaft<br />

führten nun jedoch – Mitte der 70er Jahre – zu einer Reaktivierung von<br />

Elementen der früheren Politik, 23 zu internen Diskussionen, sogar zu offenen<br />

Angriffen gegen Honecker. 24 Der Erfolg der weltweiten diplomatischen Anerkennung<br />

und die außenpolitischen Verflechtungen der DDR im Rahmen<br />

der Politik der friedlichen Koexistenz zeitigten unerwünschte innenpolitische<br />

Wirkungen. Der sozialdemokratischen Offensivstrategie Wandel durch<br />

Annäherung 25 setzte die DDR eine Defensivstrategie entgegen, für die neben<br />

anderem kennzeichnend war, dass man das Ziel eines sozialistischen Gesamtdeutschlands<br />

aufgab und den Staatssicherheitsapparat ausbaute.<br />

Infolge dieser Politik bildete sich eine literarische Opposition heraus, die<br />

zwar auf dem Boden des Sozialismus die Verhältnisse kritisierte, den Schritt in<br />

die Dissidenz gegenüber der Staatsmacht und dem eigenen Gewissen als<br />

Handlungsoption aber stets bereithielt. Damit befand sich diese Literatur<br />

selbst in der Tradition einer funktionalisierten, politische Zwecke verfolgenden<br />

Kunst, was sich noch im Diktum Heiner Müllers, Kunst habe die Wirklichkeit<br />

unmöglich zu machen, 26 zeigt. Viele dieser Schriftstellerinnen und<br />

nem Brief vom 24.04.1978, er stehe hinter Kaufmanns Artikel. – Vgl. Sektionssitzungsprotokoll (s. Anm. 3),<br />

S. 78. – Girnus selbst berichtet am 04.05.1978, also am Tag vor dem Gespräch in der Arbeitsgruppe, von<br />

einem Treffen mit Politbüromitglied Kurt Hager und Erich Honecker in dieser Sache. – Vgl. ebd. S. 84.<br />

21 So verkündete Erich Honecker auf einer ZK-Tagung: »Wenn man von den festen Positionen des Sozialismus<br />

ausgeht, kann es meines Erachtens auf dem Gebiet von Kunst und Literatur keine Tabus geben. Das betrifft<br />

sowohl die Fragen der inhaltlichen Gestaltung als auch des Stils – kurz gesagt: die Fragen dessen, was man<br />

die künstlerische Meisterschaft nennt.« – Erich Honecker: Zu aktuellen Fragen bei der Verwirklichung der<br />

Beschlüsse des VIII. Parteitages. Schlußwort auf der 4. Tagung des ZK der SED am 17.12.1971. In: Ders.: Reden<br />

und Aufsätze, Berlin 1975, Bd. 1, S. 427.<br />

22 Auf wichtige Aspekte dieses Konzepts verweist Sebastian Gerhardt: »Insbesondere die industriellen Beziehungen<br />

sollten im Sinne einer Verwirklichung der Ideale moralischen Wirtschaftens reorganisiert werden.<br />

An erster Stelle stand dabei eine Aufwertung der Rolle der Gewerkschaften, denen über ihre erweiterten<br />

Kompetenzen bei der Ausarbeitung und Realisierung der Sozialpolitik hinaus auch ein größerer Einfluß bei<br />

der Lohngestaltung zugewiesen wurde.« – Sebastian Gerhardt: Politbürokratie und Hebelwirtschaft in der<br />

DDR. Zur Kritik einer moralischen Ökonomie, Berlin 1997, S. 28.<br />

23 So revidierte 1977 der ZK-Beschluss über den Aufbau einer mikroelektronischen Industrie einen entgegengesetzten<br />

von 1973, mit dem die von Ulbricht besonders unterstützte Förderung der Elektronik beendet<br />

worden war.<br />

24 Ein im Januar 1978 im Spiegel veröffentlichtes Manifest eines angeblichen Bundes Demokratischer Kommunisten<br />

Deutschlands, dem Hermann von Berg und andere DDR-Funktionäre zuarbeiteten, richtete sich insbesondere<br />

gegen Honecker. Vgl. Dominik Geppert: Störmanöver. Das »Manifest der Opposition« und die<br />

Schließung des Ost-Berliner »Spiegel«-Büros im Januar 1978, Berlin 1996.<br />

25 Dieses Konzept, erst in den 70er Jahren unter der SPD/FDP-Regierung der BRD verfolgt, ging auf einen Vortrag<br />

Egon Bahrs von 1963 zurück. Darin hieß es u. a.: »Die Voraussetzungen zur Wiedervereinigung sind nur<br />

mit der Sowjetunion zu schaffen. Sie sind nicht in Ost-Berlin zu bekommen, nicht gegen die Sowjetunion,<br />

nicht ohne sie.« – Egon Bahr: Sicherheit für und vor Deutschland, München 1990, S. 12.<br />

360

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!