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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Das bedeutet auch, dass bei jedem politischen Kampf und jeder sozialen<br />

Praxis im Allgemeinen die jeweilige soziale Realität mitverhandelt wird: Sie<br />

wird entweder reproduziert oder durch neuen Sinn ersetzt. Die Kritik an<br />

Stuttgart 21, egal ob sie nur als eine Kritik an einem Bauprojekt artikuliert<br />

wird oder weitergehende Kritik beinhaltet, basiert auf einem spezifischen<br />

Zugang zur sozialen Realität. Dementsprechend werden bestimmte andere<br />

Welten immer temporär ausgeschlossen. Die Welt wird jedoch nicht nur<br />

durch sprachliche Akte geschaffen, sondern vermittels jeglicher sozialen Praxis.<br />

Die Möglichkeit eines Generalstreiks oder eines politischen Streiks beispielsweise<br />

liegt in Deutschland immer noch überwiegend außerhalb des<br />

demokratischen Horizonts, während die Aktionsform des zivilen Ungehorsams<br />

bis zu einem gewissen Grad akzeptiert ist. Auf diese Weise werden<br />

Handlungs- und Aktionsformen ermöglicht oder eben auch verunmöglicht<br />

und im wahrsten Sinne des Wortes Fakten geschaffen.<br />

Gegen-Hegemonie<br />

»[Jeder] geschichtliche Akt kann nur vom ›Kollektivmenschen‹ vollzogen<br />

werden, setzt also die Erreichung einer ›kulturell-gesellschaftlichen‹ Einheit<br />

voraus, durch die eine Vielzahl auseinanderstrebender Willen mit heterogenen<br />

Zielen für ein und dasselbe Ziel zusammengeschweißt werden, auf der<br />

Basis einer (gleichen) und gemeinsamen Weltauffassung (einer allgemeinen<br />

oder besonderen, transitorisch – auf emotionalem Wege – wirkenden oder<br />

permanenten, deren intellektuelle Basis so verwurzelt, assimiliert, gelebt ist,<br />

daß sie zur Leidenschaft werden kann). Da es so geschieht, scheint die Bedeutung<br />

der allgemeinen Sprachfrage auf, das heißt des kollektiven Erreichens<br />

ein und desselben kulturellen ›Klimas‹.« 14<br />

Gramsci verfügt über eine relativ klare Vorstellung von Gegen-Hegemonie:<br />

Über den modernen Fürsten – zu seiner Zeit die Partei, heute möglicherweise<br />

die globalisierungskritischen Bewegungen –, der die widerständigen<br />

Kräfte vereint und eine »kulturell-gesellschaftliche Einheit« erzeugt, wird<br />

ein neues »kulturelles Klima« geschaffen. Es geht also vor allem um die Zusammenführung<br />

einer »Vielzahl auseinanderstrebender Willen mit heterogenen<br />

Zielen« zu einem Ziel und dessen Verallgemeinerung. Poststrukturalistisch<br />

gesprochen: Es bildet sich eine Äquivalenzkette, die partikulare<br />

Forderungen verbindet, so dass sich verallgemeinerbare, universale Forderungen<br />

herausbilden. Auf diese Weise verbinden sich soziale Kämpfe und<br />

etablieren eine Gegen-Hegemonie, da sie die herrschende Ordnung kontinuierlich<br />

infrage stellen.<br />

14 Antonio Gramsci: Gefängnishefte, Bd. 6, hrsg. von Wolfgang Fritz Haug, Hamburg 1994, S. 1335.<br />

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