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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Entmenschlichung und Vernichtung folgten: »So wie man im Mittelalter in<br />

ihnen [den Juden und Jüdinnen] den Antichrist und Satan erschlug und verbrannte,<br />

so war die Methode des Vergasens in den Hitlerschen Mordlagern<br />

die logische Konsequenz, nachdem sich die Vorstellung von den Juden als<br />

Parasiten und Schmarotzer, Ungeziefer und Bazillen endgültig als herrschende<br />

durchgesetzt hatte. Waren die Juden wirklich Parasiten, Bazillen<br />

und Ungeziefer, so war nicht nur geboten, sie auszurotten, es lag auch nahe,<br />

diese Ausrottung mit den Mitteln durchzuführen, mit denen man Bazillen<br />

und Ungeziefer vertilgt: mit Giftgas.« 61<br />

Diesem direkten Zusammenhang zwischen der Form der Vernichtung<br />

und der Zuschreibung als Tier widerspricht Bernhard Pörksen. 62 Auch wenn<br />

der von den Metaphern ausgehende Blick einen Zusammenhang als unmittelbar<br />

erscheinen lässt, ist für Pörksen die Wahl der Waffen nicht aus den<br />

Metaphern ableitbar – es gäbe keinen Beleg für einen inneren Zusammenhang<br />

zwischen Ungeziefermetaphorik und der Vernichtung von Juden und<br />

Jüdinnen mit Zyklon B. An keinem Beispiel könne gezeigt werden, dass die<br />

Metaphorisierung einen unmittelbaren Einfluss auf die Vernichtungstechnik<br />

gehabt hätte. 63 Die Wahl der Vernichtungswaffen könnte ebenso pragmatischer<br />

Natur und an Effizienz orientiert gewesen sein. 64<br />

Meines Erachtens ist die Frage nicht, ob die Täter_innen wirklich davon<br />

ausgingen, dass sie Ungeziefer vernichteten, da durch Auschwitz deutlich<br />

geworden ist, dass sie den zu Tode verurteilten Personen die Funktion und<br />

den Wert von Ungeziefer beimaßen. Vielmehr stellt sich mir über den Dissens<br />

von Bein und Pörksen hinausgehend die Frage nach der Wirkungsmacht<br />

von Sprache und damit nach dem Verhältnis von Sprache und Nichtsprachlichem,<br />

nach einer Beschreibung und Erklärung der Zusammenhänge<br />

von Sprache bzw. Sprechen, Macht und Subjekten.<br />

61 Bein 1965 (s. Anm. 46), S. 148.<br />

62 Vgl. Bernd Pörksen: Die Konstruktion von Feindbildern. Zum Sprachgebrauch neonazistischer Medien.<br />

Wiesbaden, 2000, S. 189 f. – Auch Sarah Jansen wendet sich gegen die von Bein aufgestellte These des<br />

Zusammenhangs von Metaphern und Vernichtung. Sie nennt diesen Zusammenhang eine nachträglich konstruierte<br />

zwangsläufige Entwicklungslogik. Für sie ist stattdessen die Entstehungsgeschichte des Schädlings<br />

auch die Grundvoraussetzung für die Möglichkeitsbedingungen und -räume des Genozids. Vgl. Sarah Jansen:<br />

»Schädlinge«. Geschichte eines wissenschaftlichen und politischen Konstrukts 1840-1920, Frankfurt am<br />

Main 2003, S. 19.<br />

63 Vgl. Pörksen 2000 (s. Anm. 62), S. 190.<br />

64 In seiner Analyse neonazistischer Metaphernverwendungen wendet Pörksen jedoch ein, dass die Autor_innen<br />

in der Logik der Tiermetaphorisierungen verbleiben und diesen entsprechend auch Handlungsappelle<br />

formulieren. Vgl. ebd., S. 190.<br />

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