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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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In den Alben von Steiner sind nur wenige Porträtfotografien enthalten. Im<br />

ersten Album gibt es zwei Porträts, die dem Jahr 1937 zugeordnet sind. Das<br />

einzige Porträt, das vermutlich aus der Ghettozeit stammt, ist in dem Album<br />

»Die Polizei greift durch« enthalten. Auf dem Bild ist ein älterer Mann mit<br />

Hut und Bart bis zur Brust vor einem mit Stacheldraht bespanntem<br />

Holzzaun zu sehen. Im Hintergrund bzw. auf der anderen Seite des Zaunes<br />

befindet sich eine Gruppe von Jungen mit Schirmmützen, bei einem von ihnen<br />

ist der gelbe Stern zu sehen. Alle Jugendlichen und der Mann schauen in<br />

Richtung des Fotografen, die Augen des Mannes blicken allerdings an diesem<br />

vorbei. Es handelt sich um eine frontal aufgenommene Nahaufnahme,<br />

der Fotografierende befindet sich auf Augenhöhe mit dem Fotografierten.<br />

Der Hut des Mannes ist angeschnitten, so dass der Fokus zentral auf dem<br />

Gesicht des Mannes liegt. Das Bild ist leicht überbelichtet, die Jungen im<br />

Hintergrund sind unscharf, was allerdings gewollt sein könnte. Das Foto ist<br />

bei Tageslicht entstanden, der Fotograf arbeitet mit der Sonne: Das Licht liegt<br />

auf den eingefallenen Wangen, der Nase und dem Bart des Mannes. Es handelt<br />

sich – ebenso wie bei den Aufnahmen von Genewein – um ein inszeniertes<br />

Bild im ethnografischen Stil. Allerdings ist der Hintergrund hier nicht<br />

ausgeblendet, sondern beinhaltet viele Informationen: Der Stacheldrahtzaun<br />

und die Jungen mit dem gelben Stern sind nicht zufällig im Bild. Der Mann<br />

weiß, dass er fotografiert wird, er wird vermutlich nicht freiwillig fotografiert.<br />

Als Betrachtende teilt man die Perspektive eines sezierenden, analytischen<br />

Blicks – es ist keine emotionale Verbindung mit der dargestellten Person<br />

vorgesehen. Dadurch wirkt das Bild beunruhigend, kann aber auch<br />

Mitleid mit dem fotografierten Mann evozieren. Bei der Fotografie handelt<br />

es sich um ein Porträt mit Hintergrund- und Kontextinformationen. Es geht<br />

nicht nur um den fotografierten Mann, sondern um eine Gesamtaussage, die<br />

Interpretation des Fotografen ist stark im Bild anwesend. Die Inszenierung<br />

von ›Fremdheit‹ ist visuell mit Absonderung bzw. Abtrennung verbunden.<br />

Das Foto ist mit dem Kommentar versehen »Ein halbes Jahr später sitzt er<br />

hinter Stacheldraht«. Auch die im Album folgende Aufnahme von der<br />

Zwangsarbeit in einer Polsterwerkstatt ist untertitelt: »Noch ein halbes Jahr<br />

später arbeitet er für Deutschlands Aufstieg...«, das anschließende Foto von<br />

einer Beerdigung ist kommentiert mit: »... und begräbt seine Toten«. Das<br />

letzte Bild zeigt ein Konzert in einem Parteiversammlungssaal mit einem<br />

runden Emblem, in dem ein Adler mit dem Hakenkreuz zu sehen ist, der<br />

auch das Zentrum des Bildes – gleich aufgehenden Sonnenstrahlen – einnimmt.<br />

Darunter steht: »Die deutsche Polizei kann stolz ihren Sieg über Juda<br />

feiern.... Sie hat durchgegriffen!!« Es handelt sich um eine diffamierende<br />

Montage von Fotos, Artikeln und zynischen Kommentaren, die ausreichend<br />

Aufschluss geben über Steiner und seine Weltsicht.<br />

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