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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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der Schwerpunktsetzung Gendermainstreaming misst die derzeitige Regierung<br />

ein besonderes Gewicht bei; sie sollen den Weg in eine friedlichere Zukunft<br />

weisen.<br />

Im ruandischen Parlament – und das ist weltweit bislang einmalig – liegt<br />

die politische Entscheidungsmacht mehrheitlich in den Händen von Frauen.<br />

Denn seit den Wahlen im September 2008 sind 55 Prozent der Parlamentsabgeordneten<br />

weiblich. Eine dieser Politikerinnen ist Aloysia Inyumba. Sie war<br />

die erste Frauen- und Familienministerin nach dem Genozid und ist heute<br />

Senatorin im ruandischen Abgeordnetenhaus: »Unsere Botschaft als Regierung<br />

heute ist, dass es mehr Gemeinsamkeiten zwischen den Menschen gibt<br />

als Unterschiede. Anders als das frühere Regime, sehen wir die Menschen<br />

nicht als Feinde. Wir bringen sie zusammen. Wir brauchen ihre Anstrengungen<br />

und ihren Beitrag, um dieses Land wieder aufzubauen. Was wir tun, ist<br />

bilden, vermitteln, erklären, und wir sehen Menschen als ein Potential, nicht<br />

als Last. Diese Versöhnungspolitik durchzieht alle Bereiche. In allem, was<br />

wir tun, muss sichergestellt sein, dass es gleiche Möglichkeiten für alle Ruander<br />

schafft. Das entspricht unseren Visionen und unseren Werten.« 14<br />

Der Imperativ »Erinnere Dich!« ist allgegenwärtig in Ruanda. Gedenkwochen,<br />

aufwändig gestaltete nationale Gedenkstätten und Zeremonien sollen<br />

alle Ruander in eine gemeinsame Trauer um die Opfer des Genozids einbinden.<br />

Von Beginn an war diese offizielle Erinnerungspolitik allerdings heftig<br />

umstritten. Denn nicht alle Opfer fühlen sich als Opfer wahrgenommen und<br />

anerkannt. Bei den jedes Jahr im April stattfindenden Trauerwochen etwa<br />

wird der getöteten Tutsi gedacht, nicht aber der ermordeten Hutu. Doch<br />

auch viele Hutu sehen sich als Opfer von Krieg und Flucht. Im nationalen<br />

Erinnerungsraum finden ihre Erfahrungen allerdings keine Anerkennung.<br />

Und auch Überlebende stehen der offiziellen Erinnerungspolitik skeptisch<br />

gegenüber. Denn in der Regierung sind kaum Überlebende, sondern vor<br />

allem die nach dem Genozid aus dem Exil zurückgekehrten sogenannten<br />

Case-Load-Flüchtlinge 15 vertreten. Viele Menschen fühlen sich ungewollt und<br />

zurückgewiesen im Neuen Ruanda. 16<br />

Um eine weitere Zersplitterung der Nation zu verhindern, wurde die Frage<br />

der ethnischen Identität in der offiziellen Sprachregelung kurzerhand zum<br />

Tabu erklärt. »Wir sind alle Ruander«, sagen heute Hutu wie Tutsi, Täter wie<br />

Opfer. Ob dieses auf Zukunft gerichtete Abkommen aber wirklich belastbar<br />

ist, bleibt fraglich. Zu sagen, »wir sind alle Ruander«, unterschlägt, dass<br />

Hutu oder Tutsi zu sein, im Krieg über Leben und Tod entschied. Auch in<br />

14 Interview auf Französisch am 19.07.2008.<br />

15 »Case-Load-Flüchtlinge« oder »Altflüchtlinge« – so werden die Menschen genannt, die in Reaktion auf die<br />

Massaker in Ruanda bereits ab 1959 in die Nachbarländer geflohen waren und nach dem Genozid mit ihren<br />

Kindern zurückkamen. Die Zahl der nach 1994 zurückgekehrten Tutsi wird auf ungefähr 600 000 geschätzt.<br />

– Vgl. Schäfer 2008 (s. Anm. 2).<br />

16 Vgl. Brandstetter 2005 (s. Anm. 4).<br />

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