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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Beide Rückblicke ermunterten Hacks, das untersuchte ästhetische Programm<br />

zu aktualisieren. Sein Interesse daran war schon nach den Romantik-<br />

Klassik-Diskussionen im Jahr zuvor entstanden. 16 Als er im Frühjahr 1977 in<br />

der letzten Sitzung der Arbeitsgruppe Dramatik seine Theorie der Klassik<br />

vorstellte, hatte Wolfgang Kohlhaase gefragt, ob nicht die Verbindung von<br />

klassischer Haltung und gegenwärtigem Stoff das eigentliche Abenteuer der<br />

Kunst im Sozialismus sei. Hacks antwortete, er sehe den gegenwärtigen Stoff<br />

nicht als Bedingung für gegenwärtige klassische Kunst, gestand aber zu, das<br />

sei das »gattungsmäßig gesehen kühnste« 17 . In seinem Essay Der Fortschritt<br />

in der Kunst hatte er 1976 hoffnungsvoll geschrieben: »Wir finden in unserer<br />

Gegenwart Ansätze von Kunstfähigkeit, mehr als Goethe vorfand. Sie gilt es<br />

auszuproben und zu erweitern.« 18 Es war ihm insofern nicht nur wichtig, das<br />

Konzept des sozialistischen Realismus hinsichtlich einer erhofften Kulturpolitik<br />

auf seine Tragfähigkeit zu untersuchen, sondern auch als anzustrebenden<br />

Literaturstil der Gegenwart.<br />

Krise der 70er Jahre<br />

Die Richtung der von Hacks erhofften neuen Politik zeigt der zustimmende<br />

Hinweis am Beginn seines Vortrags auf einen Artikel des Literaturwissenschaftlers<br />

Hans Koch. Zwei Wochen zuvor, unmittelbar vor dem VIII. Schriftstellerkongress<br />

im Neuen Deutschland erschienen, wurden darin Werke von<br />

Christa Wolf, Werner Heiduczek, Heiner Müller sowie ein Artikel des Literaturwissenschaftlers<br />

Hans Kaufmann in der Akademiezeitschrift Sinn und<br />

Form kritisiert. 19 Koch forderte unter mehrfachem Hinweis auf die Dialektik,<br />

die Schwierigkeiten des Sozialismus als überwindbare zu zeigen und sich<br />

den Zentren der Entwicklung zuzuwenden statt den Randbezirken.<br />

Die Tendenz, wofür Hacks Kochs Artikel als ein erfreuliches Indiz nimmt,<br />

ist vielen Schreibenden Anlass zu Befürchtungen. 20 Seit der Ausbürgerung<br />

des Liedermachers Wolf Biermann und ihren Folgen 1976 beklagten sie das<br />

16 In den Erinnerungen an seine Gespräche mit Hacks notiert André Müller: »22.-27. September 1977 [...] Im<br />

übrigen halte er darauf, es sei wirklich an der Zeit, Lukács zu rehabilitieren, den er gerade neu gelesen habe.<br />

[...] Er überlegt auch, ob er in der Akademie nicht einmal über ›Sozialistischen Realismus‹ sprechen solle.<br />

Man könne den Begriff ja mit unserem heutigen Wissen neu überdenken.« – André Müller sen.: Gespräche<br />

mit Hacks. 1963-2003, Berlin 2008, S. 170.<br />

17 Gespräch über die Theorie der Klassik am 18.04.1977. In: Keck; Mehrle 2010 (s. Anm. 5), Bd. 2: Dramatik II,<br />

S. 311. – Zuvor sagt Hacks: »Ich glaube, das einzige Argument, das dafür spricht, zu sagen: Wollen wir doch<br />

mal probieren, ob wir zeitgenössisches Material auf klassische Weise verarbeiten, wäre die unglaublich optimistische<br />

Hoffnung, daß unsere Gesellschaft grundsätzlich und prinzipiell vertrauenswürdiger sei als jede<br />

vor uns gewesene. Diese Idee ist so absurd, daß ich sie teile, und ich habe es bekanntlich dreimal versucht<br />

und werde nicht aufhören, es zu versuchen.« – Ebd.<br />

18 Peter Hacks: Der Fortschritt in der Kunst 1976. In: Ders. 2003 (s. Anm. 1), S. 234.<br />

19 Hans Koch: Kunst und realer Sozialismus. Zu einigen Fragen der Entwicklung unserer Literatur. In: Neues<br />

Deutschland, 15./16.04.1978, S. 4.<br />

20 Sektionssekretär Günther Rücker versichert Wilhelm Girnus, dem Chefredakteur von Sinn und Form, in ei-<br />

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