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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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werden, das heißt, Genewein fotografiert mit der Sonne. Die Perspektive ist<br />

Close up, fast frontal, mit leichter Aufsicht. Die technische Qualität der Bilder<br />

ist amateurhaft: Sie sind bei Tageslicht aufgenommen, leicht überlichtet<br />

und besitzen keine Tiefenschärfe. In der Konstruktion der Bilder ist die Inszenierung<br />

deutlich anwesend: Der Fokus liegt auf dem Profil und der Frontalansicht<br />

der beiden Männer. Auch die Anordnung ist nicht zufällig: Das<br />

Licht fällt besonders auf die Bärte, Nasen und Hüte. Der Charakter der Fotografie<br />

ist der eines ethnografischen Porträtbildes: Es geht um die Merkmale<br />

der beiden Personen – Hut, Bart und Nasen. Der Hintergrund ist weitgehend<br />

ausgeblendet, Eisengitter und Tür verweisen auf ein Haus. Eine Entkontextualisierung<br />

findet auch im Bildaufbau statt: Zwischen den beiden Männern,<br />

aber auch in Bezug auf den Fotografen, gibt es keinerlei Interaktion. Als Betrachtende<br />

werden wir dadurch in eine distanzierte Position versetzt – das<br />

Bild weckt kein Interesse für die Abgebildeten als Individuen (was ist ihre<br />

Geschichte, wo befinden sie sich etc.), da es keine emotionale Verbindung<br />

mit den dargestellten Personen gibt. Es scheint sich um eine Zwangssituation<br />

zu handeln, es gab offensichtlich eine Regieanweisung an die Männer,<br />

sich so aufzustellen. In den Bildern geht es um eine Inszenierung von Fremdheit.<br />

Die fotografierten Personen stellten Objekte dar, die als »Exemplare« eines<br />

Typus Differenzen veranschaulichen sollten. 26 Die beiden vorgestellten<br />

Aufnahmen könnten, wie auch die übrigen, ähnlich aufgebauten Porträtfotos<br />

von Genewein, für eine Sammlung »jüdischer Typen« gedacht gewesen<br />

sein. Es ist möglich, dass diese Bilder aus der Anfangszeit des Ghettos stammen<br />

oder aber deportierte Juden aus den kleineren Ghettos der Umgebung<br />

zeigen, da der jüdischen Ghettopolizei im Rahmen einer Aktion befohlen<br />

wurde, alle Juden im Ghetto zu rasieren, das Tragen von Pejes wurde untersagt.<br />

27 Insofern könnte auch Voyeurismus ein Motiv gewesen sein, vermutlich<br />

sah Genewein im Rahmen seiner neuen Tätigkeit zum ersten Mal orthodoxe<br />

Juden – die meisten Juden in Deutschland waren assimiliert. Eventuell<br />

war diese Sammlung aber auch für ein geplantes – jedoch nie realisiertes –<br />

Ghettomuseum vorgesehen, mit dessen Einrichtung Genewein 1941 betraut<br />

wurde: Es sollte drei Bereiche umfassen: 1) einen für kultische, religiöse, 2)<br />

einen für profane und kriminelle und 3) einen für wirtschaftliche und verwaltungstechnische<br />

Ausstellungsgegenstände. 28 Die Bilder könnten für den<br />

ersten Bereich, der das osteuropäische Judentum zum Gegenstand haben<br />

sollte, gedacht gewesen sein. Mit seiner fotografischen Tätigkeit ging es Genewein<br />

vermutlich auch darum, seine eigene Stellung innerhalb der deutschen<br />

Ghettoverwaltung zu sichern und ein gewisses Prestige zu erlangen. 29<br />

26 Vgl. John Pultz: Der fotografierte Körper, Köln 1995, S. 20 ff.<br />

27 Vgl. Freund et al. 1990 (s. Anm. 24), S. 57.<br />

28 Vgl. Schreiben von Genewein an Ribbe vom 11.10.1941, AP ´ L, ´ Lód´z, GV/29216, Bl. 304 und Schreiben von<br />

Biebow an Ribbe vom 23.09.1941, AP ´ L, ´ Lód´z, GV/29221, Bl. 0916.<br />

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