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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Geopolitik des Wissens. Quijanos Konzept der Kolonialität der Macht zielt darauf,<br />

dass sich die koloniale Machtausübung nicht auf die offensichtlichen<br />

Zwangsakte und die direkte ökonomische, politische sowie militärische Unterwerfung<br />

der ehemaligen Kolonien beschränken lasse, sondern auch auf<br />

kognitiver, erkenntnistheoretischer und ideologischer Ebene gewirkt habe<br />

und weiter wirke. Er streicht heraus, dass die Idee der Rasse, die hierarchische<br />

Klassifizierung der eroberten Bevölkerungen entlang von kulturellen<br />

und rassistisch-phänomenologischen Zuschreibungen, zentral war, um den<br />

brutalen Akt der Kolonisierung zu legitimieren sowie die innergesellschaftlichen<br />

Machthierarchien und die asymmetrischen Beziehungen zwischen<br />

Zentren und Peripherien festzuschreiben. Damit aber sei der Kolonialismus<br />

nicht als bedauerliche Begleiterscheinung von Moderne und Kapitalismus<br />

zu verstehen, sondern er war konstitutiv, um die internationale Arbeitsteilung,<br />

die weltweite Sicherung der kapitalistischen Akkumulation und die<br />

moralisch-ideologische Überlegenheit der europäischen Moderne und ihres<br />

Entwicklungs- und Zivilisationsverständnisses durchzusetzen. 19<br />

Enrique Dussel bestreitet mit seinem Konzept der Transmoderne zudem<br />

das kulturelle und erkenntnistheoretische Monopol der einen dominanten<br />

Moderne und übte früh Kritik am universalistischen Anspruch der europäischen<br />

Philosophie der Vernunft. Dussel begreift die Entstehung der Moderne<br />

als einen weltumspannenden Prozess. Zu diesem hätten die ausgeschlossenen<br />

Barbaren beigetragen, auch wenn ihr Beitrag als solcher nicht anerkannt<br />

werde. 20 Aus Sicht der postcolonial studies führten der von Europa ausgehende<br />

Siegeszug der kapitalistischen Ökonomie und die Grenzziehungen zwischen<br />

moderner und kolonialer Welt nicht dazu, die strukturell heterogene Welt,<br />

die Vielfalt lokal und regional existenter Realitäten einfach auszulöschen.<br />

Doch wurden die lokalen und regionalen gesellschaftlichen Entwicklungen<br />

ab einem gewissen Punkt mit der Geschichte des Westens verschränkt sowie<br />

der dominanten europäischen Geschichtsschreibung semantisch einverleibt<br />

und somit weitgehend unsichtbar gemacht. 21 Mignolo und andere postkoloniale<br />

Autor_innen bezeichnen das als Geopolitik des Wissens und fordern dazu<br />

auf, die abendländischen Denktraditionen über Grenzdenken beziehungsweise<br />

epistemologische Grenzgänge zu demaskieren und aufzubrechen.<br />

meint und die ökonomische, politische, aber auch erkenntnistheoretische Fortsetzung kolonialer Einflussnahme<br />

in formal unabhängigen Staaten bezeichnet. Quijanos Hauptthese lautet, dass die Idee der Rasse zentral<br />

war, um den Akt der Kolonisierung zu legitimieren und die internen Machtstrukturen sowie die asymmetrischen<br />

Beziehungen zwischen den europäischen Kolonialmächten und ihren Kolonien festzuschreiben.<br />

19 Vgl. Aníbal Quijano: Colonialidad del poder, eurocentrismo y América Latina. In: Edgardo Lander (Hrsg.):<br />

La colonialidad del saber: eurocentrismo y ciencias sociales. Perspectivas latinomericanas [1993], Buenos<br />

Aires 2000, S. 201-246.<br />

20 Vgl. Enrique Dussel: Europa, modernidad y eurocentrismo. In: Lander 2000 (s. Anm. 19).<br />

http://www.bibliotecavirtual.clacso.org.ar (http://tinyurl.com/6x6jco6; 20.12.2010). – Göran Therborn und<br />

Shalina Randeria prägten für diese Perspektive sehr viel später den Begriff entangled modernities.<br />

21 Vgl. Walter Mignolo: Local histories/global designs. Coloniality, subaltern knowledges and border thinking,<br />

Princeton 2000.<br />

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