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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Esther Denzinger<br />

Nach dem Genozid.<br />

Erinnerungsprozesse und die Politik des Vergessens<br />

in Ruanda<br />

Nach dem Genozid im Jahr 1994 lebt Ruanda heute mit dem Erbe der zurückliegenden<br />

Gewalt. Indem ich in meiner Arbeit die Prozesse des Erinnerns,<br />

des Vergessens und des Verarbeitens untersuche, gehe ich der Frage<br />

nach den Kriegsfolgen und den Heilungschancen nach. Erinnerungen sind,<br />

indem sie vergangene Ereignisse rekonstruieren, bewahren und anerkennen,<br />

konstituierend für die Stabilität einer Nachkriegsgesellschaft. Mit welchen<br />

Strategien und Innovationen begegnet die ruandische Nachbürgerkriegsgesellschaft<br />

den Folgen der Gewalt? Wie können in einer vom Krieg zerrissenen<br />

Gesellschaft dialogische Formen des Erinnerns gefunden werden, die<br />

schließlich Versöhnungsprozesse befördern?<br />

Der Genozid als Zäsur hat nicht nur das Land, seine Infrastruktur zerstört,<br />

sondern auch das Leben der Menschen in zwei Hälften zerteilt – in die<br />

Zeit vor dem Genozid und in die Zeit danach. Es ist eine Zeitrechnung mit<br />

Verlusten. Über eine Million Menschen wurden während der 100 Tage des<br />

Genozids im Frühjahr des Jahres 1994 ermordet, Zehntausende wurden verletzt<br />

und traumatisiert, haben Angehörige, Freunde, Haus und Hof verloren.<br />

Die Opfer zählten vor allem zur Minderheit der Tutsi; aber auch Hutu, die<br />

dem Aufruf zum Morden nicht folgten, die sich aktiv widersetzten oder<br />

Tutsi zu schützen versuchten, fielen dem Genozid zum Opfer. 1<br />

Die Nachrichten von Massakern und Menschenjagden, die damals um die<br />

Welt gingen, stellten den Konflikt zunächst als plötzlichen Ausbruch einer<br />

archaischen Fehde zwischen zwei verfeindeten Ethnien dar. Tatsächlich waren<br />

die Gewaltstrukturen weitaus komplexer. Das Morden und Foltern, das<br />

am 6. April 1994 in Kigali begann und sich im ganzen Land ausbreitete, war<br />

systematisch geplant. Der Genozid entzündete sich im Kontext eines Bürgerkriegs,<br />

der im Oktober 1990 mit dem Einmarsch der Tutsi-Rebellenarmee<br />

von Uganda aus begann. Seit über 30 Jahren im Exil lebende Ruander hatten<br />

sich zur Ruandischen Patriotischen Front (RPF) zusammengeschlossen. Sie forderten<br />

mit Gewalt ein Rückkehrrecht, das ihnen der damalige ruandische<br />

Präsident Juvénal Habyarimana versagte. Die sich innerhalb Ruandas zuspitzende<br />

Wirtschaftkrise sowie die seit Jahrzehnten schwelenden politi-<br />

1 Vgl. Alison des Forges: Leave no one to tell the story. Genocide in Rwanda, New York 1999.<br />

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