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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Arbeit<br />

Ein beeindruckender Beleg für das hohe Maß dessen, wie sehr der Strand<br />

nicht mit Arbeit im etablierten soziologischen Sinne konnotiert ist, gelingt –<br />

unter der Hand – dem Historiker Cord Pagenstecher in einer tourismus- und<br />

wahrnehmungsanalytischen Untersuchung der privaten (Urlaubs-)Fotoalben<br />

eines Berliner Bäckerehepaares aus den Jahren 1942 bis 1982. 27 Pagenstecher<br />

zeigt auf, wie stark vor allem in den Anfangsjahren des Massentourismus<br />

der Urlaub, dieser Zeit-Raum der legitimierten ›Faulheit‹, an die<br />

ihrerseits legitimierende Kontrastfolie der alltäglichen Arbeitswelt gebunden<br />

bleibt. Pagenstecher konstatiert das »Fortwirken eines verinnerlichten Arbeitsethos«<br />

im Urlaub durch die Verrichtung »symbolischer Arbeit« in Form<br />

der penibel geführten Urlaubschronik. 28<br />

Während fotografische Dokumentation und ästhetisch-thematische Aufbereitung<br />

der Fotos ausnahmslos alle Urlaubsstationen des Bäckerehepaares<br />

begleiten, setzt am Ufer des Meeres, im weichen Strandsand, das sonst so<br />

sorgfältig geführte Reiseprotokoll aus. Die Urlaubsfotos der jeweils 14 Tage<br />

an der See ab 1970 werden undatiert, ordnungslos ins Album geklebt. Pagenstecher<br />

sieht darin den Strandurlaub als »›zeitlose‹ Zeit« 29 genossen, gleichzeitig<br />

schrumpft aber auch die Verrichtung der »symbolischen Arbeit« auf<br />

ein Mindestmaß. Selbst die Motive der Fotos vermitteln nicht mehr aktive<br />

Aneignung der touristischen Welten, in denen das Paar sich bewegt, sondern<br />

›faulenzendes‹ Ausruhen im Campingstuhl am Strand.<br />

In einer Untersuchung eines typisch deutschen Strandmöbels – der Strandburg<br />

– werten Kimpel und Werckmeister dieses ephemere Bauwerk ebenfalls<br />

als einen Akt von mehr oder weniger sinnerfüllter Arbeit. Die Autoren deuten<br />

den Strandburgenbau als Resultat des Bedürfnisses der Strandbesucher, den<br />

Urlaubs- und Strandraum einerseits symbolisch anzueignen und andererseits<br />

den empfundenen Widerspruch zwischen vom bürgerlichen Arbeitsethos geprägten<br />

Alltag und schwer aushaltbarem Müßiggang zu überbrücken. 30<br />

Spiel<br />

Mit dieser Zuordnung übersehen die Autoren allerdings den wichtigsten<br />

Aspekt im Hantieren mit Schippe, Eimer und Gießkanne im Sand: den des<br />

Ludischen: »Buddeln und Deichen und Graben im weichen, sauberen Sand,<br />

27 Cord Pagenstecher: Antreten zum Lotterleben. Private Fotoalben als Quelle einer Visual History des bundesdeutschen<br />

Tourismus. In: Gilomen; Schumacher; Tissot 2005 (s. Anm. 17), S. 201-220.<br />

28 Vgl. ebd., S. 202, S. 207.<br />

29 Ebd., S. 214.<br />

30 Vgl. Harald Kimpel; Johanna Werckmeister: Die Strandburg. Ein versandetes Freizeitvergnügen, Marburg<br />

1995, S. 37-43.<br />

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