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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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literatur für die Konstituierung des Subjekts anbietet. Diese Möglichkeiten,<br />

oder die möglichen Subjektmodelle, sind in zwei Gruppen eingeteilt. Die<br />

erste Gruppe zeigt die Formen, in denen ein Subjekt als Unterworfene_r konstruiert<br />

wird. Ein Subjekt wird von der Erbauungsliteratur als Sünder_in,<br />

Patient_in, Schüler_in formiert, der/die einer Führung, einer Unterstützung,<br />

einer Disziplinierung bedarf. Die zweite Gruppe zeigt dagegen die Rahmen,<br />

in denen ein Subjekt sein eigenes Ich, sein Selbst konstruieren kann – die<br />

Techniken des Selbst. Es ist eine gewisse Vereinfachung, denn beide Techniken<br />

existieren nicht getrennt voneinander. Sie sind zwei Seiten ein und desselben<br />

Prozesses.<br />

Kontrolle und Abhängigkeit – ein Subjekt als Unterworfene_r<br />

Das Menschenbild, das in der Erbauungsliteratur immer wieder vorkommt,<br />

regelmäßig wiederholt wird, ist die Vorstellung vom Menschen als verdorbenem,<br />

schwachem, sündhaftem Wesen, das sich selbst nicht helfen kann, sich<br />

in Not befindet und auf Hilfe angewiesen ist. Erbauungsliteratur formiert<br />

dieses unmündige, unselbständige, hilflose Subjekt und bietet sich gleichzeitig<br />

als Ratgeber, Führer, Freund an.<br />

»Wie ein Wandersmann, so lange er auff einem breiten geraden Wege<br />

wandelt, getrost und sicher fortgehet und an keinen Führer gedencket. Wann<br />

er aber durch Ab- und Nebenwege, in dicke wüste Wälder und Wildnüssen<br />

und also in augenscheinliche Gefahr seines Lebens kommen, anhebet seine<br />

Sicherheit zu beklagen und ängstiglich nach einem Wegweiser zu seufzen<br />

und zu verlangen, also ist es auch bewandt mit einem Creuzträger.« 31 –<br />

schreibt Heinrich Müller in der Dedicatio zu seinem Buch Creuz- Buß- und Bet-<br />

Schule. Der Mensch wird hier als Wanderer in Dunkelheit und Nebel dargestellt,<br />

der einen Wegweiser sucht. Auf sich alleine gestellt, ist der Mensch auf<br />

seinem in der Regel schwierigen Lebensweg unsicher und zum selbständigen<br />

Handeln unfähig. Er braucht jemanden oder etwas, der oder das ihm<br />

den Weg zeigt.<br />

In einem weiteren Buch von Müller finden wir eine ganze Reihe der Metaphern<br />

und Vergleiche, mit deren Hilfe er diesen Zustand des Menschen als<br />

»geführten«, »getriebenen«, von einer äußeren Kraft »gezogenen« beschreibt:<br />

»Er [Christus] wird euch in alle Wahrheit führen, wie einer einem Blinden<br />

nicht allein den Weg zeiget, sondern auch bey der Hand hinauf führet. Assaph<br />

nennets Leiten: du leitest mich mit deinem Rath, wie eine Mutter ihr<br />

Kind bei den Armen leitet. Paulus nennets Treiben: die der Geist Gottes treibet,<br />

die sind Gottes Kinder, wie der Wind ein Wasser oder eine Flamme<br />

31 Müller 1687 (s. Anm. 27), S. 2.<br />

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