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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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tet werden muss, gibt es kaum Kapazitäten, sich auf einen langsamen und<br />

langatmigen Verständigungsprozess einzulassen. KlientInnen mit besonderen<br />

Sprachstrategien werden auch hier als zeitraubend und belastend empfunden.<br />

Nicht mehr das eigentliche schwierige Verstehen ist dann das Problem,<br />

sondern mehr und mehr dieser Mensch, der sich nicht auszudrücken<br />

vermag. Nur allzu gern möchten die Verantwortlichen, dass die Anstrengungen<br />

ein Ende nehmen, die Person also bald aufhört, sich zu erklären, und am<br />

besten wieder geht. Unbemerkt bleiben in diesem Prozess allerdings die Anstrengungen<br />

und Bemühungen der Asylsuchenden, die nach Worten ringen,<br />

um ihre Geschichte verständlich zu machen.<br />

Schlussbemerkung:<br />

Kreative Sprachadaptionen versus kommunikative Ohnmacht<br />

Am Beispiel von Frau Tekin wird deutlich, dass ihre Sprachadaptionen Spiegel<br />

der sprachlichen Räume ihrer Migrationsgeschichte sind. Sie verweisen<br />

auf eine Art Multilingualität, die insbesondere unter sprachwissenschaftlicher<br />

Betrachtung als Akt kreativer Aneignung und Selbstermächtigung<br />

angesehen werden kann. Andererseits zeigt sich hier in einem besonderen<br />

Maße, dass solche »crossover«-Strategien keineswegs außerhalb machtdurchdrungener<br />

Räume entstehen und zudem in ebensolchen reproduziert<br />

und abgewertet werden. Frau Tekins sprachliche Aneignungen sind Produkte<br />

von Flucht, Gefängnisaufenthalt und einem Leben ohne gesicherten<br />

Aufenthaltsstatus. Sie sind unter den »Bedingungen von Ausbeutung, Unterdrückung,<br />

Sprachlosigkeit und zahlreichen inneren Widersprüchen« 44 entstanden<br />

und werden unter denselben Bedingungen praktiziert. Die Adaption<br />

unterschiedlicher Sprachelemente führt nicht dazu, dass Frau Tekin<br />

vielfach verstanden wird, sondern leider dazu, dass sie in den meisten Bereichen<br />

ihres Lebens kein sprachliches Gegenüber findet.<br />

Die ethnopsychoanalytische Analyse und Deutung des Materials und der<br />

Interviewbeziehung verweist auf mögliche gesellschaftliche Praktiken der<br />

Abwertung und Ablehnung von Asylsuchenden. Das Bewusstmachen dieser<br />

Strukturen sensibilisiert einerseits für gesellschaftliche Ausschlusspraktiken<br />

– in diesem Fall wird deutlich, dass Asylsuchende, die der Sprache des Aufnahmelandes<br />

nicht mächtig sind, als zeitraubend und störend empfunden<br />

werden und es weniger Bereitschaft gibt, ihnen zuzuhören. Andererseits liefert<br />

die Analyse deutliche Hinweise auf die Spezifität der Betreuung im EPZ<br />

und die Bedeutung von Anerkennungspraxen 45 für das (Über-)Leben der Be-<br />

44 Terkessidis 1999 (s. Anm. 28).<br />

45 Vgl. hierzu Axel Honneth: Kampf um Anerkennung, Frankfurt am Main 1992.<br />

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