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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Methodisch legte ich mich auf eine sehr offene narrative Interviewform<br />

fest, die mehr Erzählimpulse als konkrete Leitfragen beinhaltete. Durch die<br />

offene Gesprächsgestaltung konnten meine InterviewpartnerInnen erst einmal<br />

erzählen. Auch wenn so eine Kommunikation stattfinden konnte, in der<br />

beide Seiten größtenteils verstanden, um was es ging, wurde doch jedes Gespräch<br />

von Unsicherheiten und Angst vor Verständigungsproblemen begleitet.<br />

In fast allen Fällen wurde thematisiert, dass die fehlende gemeinsame<br />

Sprache eventuell ein Problem für das Interview darstellen könnte. In der<br />

Regel entschuldigten sich die Personen gleich zu Beginn dafür, dass sie<br />

»schlecht« Deutsch sprechen würden und ich sie vielleicht nicht verstehen<br />

könnte. Manche entschuldigten sich auch im Verlauf des Gespräches, wenn<br />

sie an wichtigen Stellen keine adäquaten Worte fanden. Auf den ersten Blick<br />

schien es so, als ob die betroffenen Personen Angst hatten, dass mir ihre Ausdrucksmöglichkeiten<br />

für so ein, ich nenne es mal »offizielles und wichtiges«<br />

Forschungsinterview, nicht ausreichen könnten. Da aber immer wieder deutlich<br />

wurde, dass die Gesprächsoption als Rederaum für Probleme und Ansichten<br />

wertgeschätzt wurde, lässt sich dieses Vorgehen auch als Wunsch interpretieren,<br />

verstanden zu werden. Sicherlich hätten viele von ihnen in ihrer<br />

eigenen Sprache andere Worte gefunden, vielleicht auch komplexere Zusammenhänge<br />

erzählen können. Doch gerade in der Auswertung der Protokolle<br />

und Transkriptionen zeigte sich, dass eigentlich alle GesprächspartnerInnen<br />

genügend Kommunikationsmittel aufbringen konnten, wenn sie über persönlich<br />

bedeutende Themen berichteten. Oft wurde ein wichtiger Punkt von<br />

dem keineswegs rhetorischen Nachsatz »Verstehst Du?« begleitet und zeigte<br />

immer wieder, dass es besonders an diesen Stellen ein großes Bedürfnis danach<br />

gab, dass ich auch das Richtige verstand und bestätigte. Zum Teil<br />

wurde anschließend darauf bestanden, dass ich diesen einen Satz oder eine<br />

Aussage protokollierte.<br />

Trotzdem blieb das Vorgehen ambivalent. Nach der Transkription der ersten<br />

Interviewmitschnitte wurde deutlich, dass auch ich hin und wieder unsicher<br />

war, ob ich wirklich verstanden hatte, was gesagt wurde. Zum Teil<br />

wiederholte ich Aussagen in meinen Worten und wartete auf einen bestätigenden<br />

Ausdruck, um mich abzusichern. Teilweise bot ich Worte an oder<br />

griff interpretierend ein. Dieses führte manchmal dazu, dass mir vorschnell<br />

recht gegeben wurde, ohne dass es den Tatsachen entsprach, wie sich bei der<br />

Betrachtung des weiteren Interviewverlaufs herausstellte. An dieser Stelle<br />

zeigten sich Praxen des Nichtverstehens, die jedem Urlauber und jeder Urlauberin,<br />

in jedem Fall aber der Mehrheit der Asylsuchenden bekannt sind:<br />

Das Nicken, das »ja, ja«-sagen, damit das eigene sprachliche Defizit nicht<br />

auffällt – eine Strategie, die sich von der Interviewsituation auf die allgemeine<br />

Situation der Asylsuchenden übertragen lässt. Im Alltag, in der Betreuung,<br />

besonders allerdings in Asylverfahren und Anhörungen spielt das<br />

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