02.12.2012 Aufrufe

Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Willen zurückzudrängen versucht. Die einmal erzielte Sportleistung ist<br />

keine bleibende, sondern eine, die immer neu aus den feindlichen Trägheitsgesetzen<br />

des Körpers, aus seiner Neigung zum Nachlassen vorgetrieben<br />

werden muss.« 72<br />

Im System der Körpermaschine ist jede affektive Regung, jede Irrationalität<br />

oder seelische Unangepasstheit einer Störung gleichzusetzen – und<br />

nicht von ungefähr verschwindet die emotionale und sinnliche Seite der<br />

Selbstwahrnehmung in einen Bereich ›on the margin‹ 73 , an den Strand, der<br />

ob seiner Verfassung noch als natürlich anerkannt wird und ob seiner sozialen<br />

und geographischen ›Randposition‹ die Flucht aus rational verfasster<br />

Alltagswelt erlaubt. Hier, an diesem unbestimmten Ort, darf ›Mensch‹ einfach<br />

sein und genießen, ohne einem Leistungsgedanken folgen zu müssen,<br />

kann desgleichen doch körperlich aktiv sein, so er es will: ob grabend oder<br />

spielend im Sand oder schwimmend, Sport treibend, dessen Ausübung am<br />

Strand selbst den Charakter des Ludischen erhält.<br />

Die Tradition des Seebades als Ort der Heilung gewährt einen anstrengungsfreien<br />

Surplus zur angestrebten Gesunderhaltung des Körpers in der<br />

Natur, alle vorhandenen mikroklimatischen Komponenten tragen dazu bei:<br />

Da ist neben heilendem Meerwasser und ›guter Luft‹ auch die wärmende<br />

Sonneneinstrahlung, deren ultravioletter Bestandteil ›B‹ (UV-B) die Hautbräunung<br />

in Gang setzt und – so Mensch sich ihr nicht übermäßig aussetzt –<br />

Atmung, Kreislauf, Stoffwechsel und Drüsenfunktionen aktiviert. 74 Da das<br />

Individuum also gar nicht körperlich aktiv werden muss und trotzdem positive<br />

Effekte für Gesundheit und Schönheit erfährt, kann es sich frei entscheiden<br />

– zur Aktivität oder zur Ruhe, zum Spiel oder zum Sport, mehr noch:<br />

Ruhe und Aktivität fallen in eins, Sport am Strand bedeutet Spiel, Arbeit<br />

passiert um ihrer selbst willen und erzeugt Produkte, die, so flüchtig wie der<br />

ganze Aufenthalt am Ort, die Beschaffenheit des Ortes selbst, keine nachträgliche<br />

Verantwortung erzwingen, da Wind und Meer sie in absehbarer<br />

Zeit wieder eingeebnet haben werden. Am modernen Strand wird scheinbar<br />

Unvereinbares zur Versöhnung gebracht: Erholung und geruhsames Nichtstun,<br />

welche trotzdem »Arbeit am Selbst« 75 sind und in Form gebräunter<br />

Haut und gestärkter Gesundheit entsprechende Ergebnisse zeitigen, die<br />

Rückkehr zu kindlichen, spielerischen Aktivitäten, ohne dass die Würde des<br />

erwachsenen Subjekts dabei verletzt oder beschmutzt würde‚ das Ausleben<br />

libidinöser Besetzungen der umgebenden Elemente, ohne tatsächlich in die<br />

72 Marieluise Fleißer: Sportgeist und Zeitkunst. Essay über den modernen Menschentyp, 1929, zitiert nach<br />

Becker 2000 (s. Anm. 71), S. 231.<br />

73 Vgl. Rob Shields: Places on the margin. Alternative geographies of modernity, London, New York 1991, zitiert<br />

nach Kolbe 2005 (s. Anm. 17), S. 189.<br />

74 Froh jubelt ihr beim kleinsten Lichtstrahl. In: Der Spiegel 32/1985.<br />

http://www.spiegel.de (http://tinyurl.com/66cwvjv; 16.02.<strong>2011</strong>).<br />

75 Vgl. Geisthövel 2005 (s. Anm. 5), S. 128.<br />

271

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!