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Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

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V Römische <strong>Tugendheldin</strong>nen in der Ikonographie der Frühen Neuzeit<br />

Ehemann zu konturieren, muss Boccaccio in De claris mulieribus die Begegnung<br />

mit Aeneas unterschlagen und aus Dido eine zweite Penelope machen, deren Ab-<br />

lehnung ihrer afrikanischen Freier sich moralphilosophisch und didaktisch instru-<br />

mentalisieren ließ. Vor dem Hintergrund der moraltheologischen Vorstellung dreier<br />

aufeinander folgender gesellschaftlicher Rollen der Frau <strong>als</strong> Jungfrau, Ehefrau und<br />

Witwe 12 stilisiert Boccaccio, die Vergilsche Traditionslinie verschweigend, Dido<br />

zum Idealbild einer christlichen Ehefrau, die sich einer zweiten Ehe widersetzt. Auf<br />

diesem Umweg gelingt es Boccaccio, überraschend genug, den Selbstmord Didos<br />

in bonam partem zu interpretieren, weil die Königin den Pflichten der Witwe den<br />

Vorzug vor einer neuen Liebe gibt.<br />

Aber auch bei Boccaccio gerät Dido aufgrund einer anderen, durchaus mit-<br />

telalterlichen Kausalitätskette 13 in einen Konflikt zwischen konkurrierenden Pflich-<br />

ten <strong>als</strong> Ehefrau und <strong>als</strong> Herrscherin. Zwar legt sie <strong>als</strong> Staatsgründerin und Regen-<br />

tin ›männliche‹ Eigenschaften an den Tag, wenn sie auf der Flucht aus Libyen eine<br />

Begleitmannschaft requiriert und auf Zypern junge Mädchen entführen lässt, um in<br />

Afrika ein neues Volk zu gründen. Gleichwohl lehnt sie die Bitten ihrer Untertanen,<br />

sich wieder zu verheiraten, ab und gibt der Treue zum verstorbenen Ehemann den<br />

Vorrang. Aus dem Vergilschen Konflikt zwischen Herrscherin und Liebender wird<br />

ein Konflikt zwischen Regentin und christlicher Ehefrau.<br />

Christine de Pizan, die wohl bedeutendste volkssprachliche Schriftstellerin<br />

des französischen Mittelalters, entwickelte die von Boccaccio entworfene Rechtfer-<br />

tigung des Selbstmords der Dido im Livre de la Cité des Dames (1404/1405) auf<br />

ihre Weise weiter. Auch sie begreift Dido <strong>als</strong> selbständige Frau (virago), die ein<br />

keusches, unabhängiges und autonomes Leben führt. Um Didos Herrscherfähig-<br />

keiten zu demonstrieren, greift Christine auf die schon von Justinus überlieferte<br />

Anekdote 14 zurück, nach der Dido viel Land erwarb, indem sie eine Rinderhaut in<br />

dünne Streifen schnitt und zu einem langen Gurt zusammenband, um damit das ihr<br />

zustehende Land abzugrenzen.<br />

Et tant se gouverna nottablement et par grant prudence qu'en toutes terres en<br />

aloient les nouvelles et ne parloit on se d'elle non telement que pour la grant vertu<br />

qui fu veue en elle, tant pour la hardiece et belle entreprise que fait avoit comme<br />

pour son tres prudent gouvernement. Lui transmuerent son nom et l'appellerent Di-<br />

12<br />

Boccaccio, Giovanni: De claris mulieribus, <strong>Die</strong> großen Frauen, hrsg. u. übers. von I. Erfen / P. Schmitt,<br />

Stuttgart 1995, S. 241f.<br />

13<br />

Vgl. Kolsky, Stephen D.: The Genealogy of Women, Studies in Boccaccio’s De mulieribus claris, New York /<br />

Bern / Frankfurt/Main 2003, S. 30 und S. 60.<br />

14<br />

M. Iunianus Iustinus: Epitoma Historiarum Philippicarum XVIII, 5,9.<br />

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