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Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

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VI Der Neustoizismus: Leitphilosophie der Frühen Neuzeit<br />

tiam, numquam simulatio fuerit et mimus quidquid contra fortunam iactavi verborum<br />

contumaciam [...]. Disputationes et litterata colloquia et ex praeceptis sapientum<br />

verba collecta et eruditus sermo non ostendunt verum robur animi; est enim oratio<br />

etiam timidissimis audax. Quid egeris tunc apparebit cum animam ages. 80<br />

Für neustoische ›Tugendhelden‹ wie für nachtridentinische Märtyrer gilt deshalb<br />

der Tod <strong>als</strong> Stunde der Bewährung, in der sich die Authentizität der Lebensführung<br />

bewähren muss. Erneut bestätigt sich die Hypothese, dass die profane und die<br />

kirchliche Ikonographie ›vorbildlichen Sterbens‹ auf gemeinsame neustoische Vor-<br />

aussetzungen zurückgeht. In vergleichbarer Weise gilt dies für frühneuzeitliche<br />

Märtyrer- und Historiendramen. Christliches Martyrium und neustoischer Freitod<br />

sind beide auferlegt, aber zugleich frei gewählt.<br />

3 gloire und vertu auf der Bühne<br />

[exitus illustrium virorum] <strong>Die</strong> praktische Ethik des Neustoizismus entwickelte über alle<br />

konfessionellen Differenzen hinweg gültige Modelle exemplarischen Sterbens, die<br />

es durchaus mit den nachtridentinischen Sterberitualen 81 aufnehmen konnten, die<br />

80 ›Dem Tod bin ich Rechenschaft darüber schuldig, welche [moralischen] Fortschritte ich gemacht habe.<br />

Furchtlos bereite ich mich daher auf jenen Tag vor, an dem ich ohne Kunstgriffe und Ausflüchte beurteilen<br />

kann, ob ich nur mutige Reden führe oder auch so fühle, ob alle aufsässigen Worte, die ich gegen das Geschick<br />

geschleudert habe, nur Heuchelei und Farce gewesen sind. [...] Disputationen, gelehrte Gespräche, aus<br />

philosophischen Schulmeinungen zusammengestellte Sentenzen und eine gebildete Ausdrucksweise beweisen<br />

noch keine Seelenstärke; denn kühne Reden führen sogar die Furchtsamsten. Was man geleistet hat,<br />

zeigt sich dann, wenn man sterben muss.‹ (ep. mor. 26,5-6)<br />

81 In diesen Zusammenhang ist besonders die von der nachtridentinischen Kirche propagierte R o l l e J os<br />

e p h s a l s P a t r o n d e s g u t e n S t e r b e n s erwähnenswert. In der mittelalterlichen Frömmigkeit (und<br />

Ikonographie) lag die Bedeutung des Heiligen Joseph in seiner Rolle <strong>als</strong> »Nährvater Christi« (nutritor domini)<br />

und Ehemann Mariens, der mit der Flucht nach Ägypten die Familie gerettet hatte. Bereits frühe Inszenierungen<br />

des 4. und 5. Jahrhunderts, die Joseph sorgenvoll mit Trauergebärde auf das Kind in der Krippe blicken<br />

lassen, zeigen ihn in Meditationen über das Kind und seinen späteren Opfertod. Bisweilen wird im hohen und<br />

späten Mittelalter seine Stellung an der Schwelle zwischen Altem und Neuem Bund betont: der Tau-Stab oder<br />

der (verrutschte) Judenhut können darauf hinweisen. Im Wesentlichen konzentrieren sich Kult und Ikonographie<br />

des Mittelalters auf seine Rolle <strong>als</strong> Familienvater während der Geburt, der Kindheit und Erziehung Jesu.<br />

(Dazu: Heublein, Brigitte: Der »verkannte« Joseph, Zur mittelalterlichen Ikonographie des Heiligen im deutschen<br />

und niederländischen Kulturraum, Weimar 1998 und Kaster, Gabriela: »Joseph von Nazareth«, in: LCI,<br />

Bd. 7, Sp. 210-221.) Im späten Mittelalter wurde seine Rolle <strong>als</strong> pater familias noch durch seinen Beruf des<br />

Zimmermanns ergänzt, woraus ihm verschiedene Schutzfunktionen für Handwerker, insbesondere Zimmerleute<br />

erwuchsen. So konnte er um 1500 <strong>als</strong> moralisch integrer Familienvater und <strong>als</strong> arbeitsamer Handwerker zu<br />

einer Leitfigur beginnenden bürgerlichen Selbstbewusstseins avancieren. (Heublein, a.a.O., S. 217ff.) – Seine<br />

weitere wichtige Funktion erhielt Joseph im Laufe des 17. Jahrhunderts. Als 1621 Gregor XV. den 19. März <strong>als</strong><br />

Josephstag in den Festkalender der katholischen Kirche aufnahm, kam er wohl einer immer breiter werdenden<br />

volkstümlichen Verehrung nach. (Dazu, wenn auch auf den Bereich der Habsburger eingeschränkt, Mikuda-<br />

Hüttel, Barbara: Vom ›Hausmann‹ zum Hausheiligen des Wiener Hofes, Zur Ikonographie des hl. Joseph im<br />

17. und 18. Jahrhundert, Marburg 1997, bes. S. 77-94.) Als »refugium agonizantium« rückt nun in Traktaten,<br />

Graphik und Malerei Josephs Lebensende immer mehr in den Vordergrund. Begleiten Maria und der erwachsene<br />

Jesus das Sterben Josephs, so steht noch immer die (Heilige) Familie im Vordergrund. Das Sterben wird<br />

meist <strong>als</strong> familiäre Abschiedsszene ins Bild gesetzt, in der <strong>als</strong> Requisiten eines arbeitsamen Lebens Werkzeuge<br />

und bearbeitetes Holz nicht fehlen. Ein fleißiges Leben und eine Lebensgemeinschaft mit Maria und Jesus<br />

garantieren einen guten Tod und lassen sogar auf traditionelle Sterbeseelsorge, wie sie im ›Marientod‹ nötig<br />

war, verzichten: »Joseph hat mit Jesu und Maria allezeit gelebt / mit Jesu und Maria ist er gestorben« (Palma<br />

Iosephina, Das ist. Leben und Lob des hochheyligen Patriarchen IOSEPHS, Christi Nährvatter / MARIAE Bräutigambs,<br />

Augsburg 1657, S. 393 [zitiert nach Mikuda-Hüttel, a.a.O., S. 93]) Der Augenblick des Sterbens hat<br />

nicht mehr das schwere Gewicht wie im Mittelalter, sondern soll sanft und gelassen geschehen wie der Josephstod:<br />

»Es ist der Tod des Gerechten, der seinen physischen Tod nicht erst bedenkt, wenn er nahe ist,<br />

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