21.06.2013 Aufrufe

Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Lukretia: Keuschheit, eheliche Treue, politischer Umsturz<br />

schen exemplum wird, steht in der Africa ihre politische Rolle <strong>als</strong> Freiheitsheldin 18<br />

im Vordergrund. Petrarca sieht sie in einem Traditionszusammenhang, der für das<br />

Imperium und die Identität Italiens von bleibender Bedeutung ist, und eröffnet da-<br />

mit Lukretia eine glanzvolle Karriere in der politischen Neuzeit. In der Historienma-<br />

lerei wurde diese politische Bedeutung des Motivs der sterbenden <strong>Tugendheldin</strong><br />

allerdings erst aufgegriffen, <strong>als</strong> in der Französischen Revolution die römische Ge-<br />

schichte eingängige Vorbilder für den republikanischen Patriotismus liefern sollte.<br />

In der Frühen Neuzeit überwiegt in der bildenden Kunst der moralistische Überlie-<br />

ferungsstrang: meist wird Lukretia isoliert und halbfigurig dargestellt, <strong>als</strong> körperlich<br />

schwache, aber willensstarke <strong>Tugendheldin</strong> und Kämpferin gegen männliche Will-<br />

kür und Aggression betont.<br />

In De claris mulieribus 19 gilt Lukretia <strong>als</strong> eines der prominenten Vorbilder<br />

keuschen und schamhaften Verhaltens (pudicitia). Boccaccio macht sie geradezu<br />

zur dux pudicitiae 20 und schwächt damit politische Akzentuierungen ab, ohne sie<br />

ganz zu unterdrücken 21 . Anders <strong>als</strong> die christliche Allegorese der Gesta Romano-<br />

rum stellt die moralistische Deutung Boccaccios Lukretias Schönheit (formositas)<br />

und haushälterische Tugend (parsimonia) heraus und rechtfertigt den Selbstmord<br />

mit der Keuschheit der jungen Frau.<br />

Dass sich ›politisches‹ und ›moralistisches‹ Rezeptionsmuster verbinden<br />

ließen, zeigt die Declamatio Lucretie 22 des Florentiner Humanisten und Kanzlers<br />

Coluccio Salutati (1331-1406). Er benutzt durchaus Boccaccios Handbuch, deutet<br />

die moralistischen Begriffe aber politisch. Abwechselnd kommen in der rhetori-<br />

18 Im unvollendet gebliebenen Epos Africa erzählt der Römer Lelius <strong>als</strong> Gast des Königs von Numidien neben<br />

anderen Ereignissen der römischen Geschichte auch die Lukretia-Episode (III, 684-773). Dabei wird die Handlung<br />

äußerst verknappt, der Schilderung der verzweifelten Seelenlage der Frau aber breiter Raum gewährt (vv.<br />

692-698 und 715-722). Lukretia wird von Petrarca <strong>als</strong> politisch Handelnde gezeichnet, die die zusammengerufenen<br />

männlichen Verwandten zum Racheeid auffordert (vv. 720-722) (»Porgite dextras / Et prestate fidem,<br />

scelus hoc ne turpis ad umbras / Auferat impunis tumuloque insultet adulter.« [›Reicht euch die Rechte und<br />

schwört, dass der Verbrecher nicht unbestraft leben und der Eheschänder nicht mein Grab verhöhnen darf.‹])<br />

Brutus spricht den Schwur, der zur Aufhebung der Königsherrschaft (vv. 769-773) führt (»Hoc duce pelluntur<br />

reges, exulque senexque / Tarquinius moritur, nati omnes diraque coniunx / Supplicium scelerum non una<br />

morte tulerunt: / Corruit in cineres regis domus alta Superbi. / Regnorum hic finis.« [›Unter Brutus werden die<br />

Könige vertrieben, Tarquinius stirbt betagt im Exil, alle Söhne und die schreckliche Gattin erlitten einzeln die<br />

Todesstrafe für ihre Verbrechen: So endete das edle Geschlecht des Königs Superbus. <strong>Die</strong>s war das Ende der<br />

Könige.‹]).<br />

19 Giovanni Boccaccio: Tutte le opere, hrsg. von Vittore Branca, Bd. 10, Milano 2 1970, Kap. 48<br />

20 Boccaccio greift die von Valerius Maximus geprägte Formel »dux Romanae pudicitiae« wieder auf, erweitert<br />

sie um »sanctissimum vestute parsimonie decus« und betont neben der heroischen Tat Umsicht und Fleiß<br />

Lukretias <strong>als</strong> Haus- und Ehefrau.<br />

21 Am Ende des Kapitels über Lukretia heißt es: »Cum ex eadem non solum reintegratum sit decus, quod feditate<br />

facionoris iuvenis labefactarat ineptus, sed consecuta sit romana libertas. « (›Durch diese Tat wurde nicht<br />

nur ihre Ehre wiederhergestellt, die der törichte junge Mann durch seine Schandtat verletzt hatte, auch Roms<br />

Freiheit war ihre Folge.‹)<br />

22 Vgl. dazu Follak, Jan, a.a.O., der im Anhang zum ersten Mal Text und Übersetzung verfügbar macht.<br />

121

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!