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Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

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IV Liebe, Patriotismus und Selbstbestimmung: Sophonisbe <strong>als</strong> <strong>Tugendheldin</strong><br />

sung ist die 1634 aufgeführte Sophonisbe von Jean Mairet 77 , die – der Bedeutung<br />

Trissinos für Italien vergleichbar – <strong>als</strong> erste regelmäßige Tragödie der französi-<br />

schen Bühne gilt. 78 Mairet nahm zwei entscheidende Änderungen vor: zum einen<br />

lässt er Syphax in der Schlacht fallen, um zu vermeiden, dass Sophonisbe zwei<br />

lebende Gatten hat; zum anderen tötet sich auch Massinisse am Ende des Stü-<br />

ckes an der Bahre Sophonisbes, um den Gesetzen der bienséance Genüge zu<br />

tun. 79 <strong>Die</strong> Sophonisbe von Pierre Corneille (1663) belegt den Erfolg des Stoffes in<br />

Frankreich ebenso wie die vollständige Neufassung, die Voltaire 1770 von Mairets<br />

Tragödie (»réparée à neuf«) vorgelegt hat. Allerdings verweigert Corneilles So-<br />

phonisbe sich »der ihr zugedachten weiblichen Opferrolle« 80 , weist das von Massi-<br />

nisse gesandte Gift zurück und tötet sich mit einem Gift, das sie immer selbst mit<br />

sich getragen hat. <strong>Die</strong> starke Sophonisbe Corneilles ist eine durchwegs politische<br />

Persönlichkeit, deren einzige Schwäche die Eifersucht auf Eryxe, ihre von Corneil-<br />

le erfundene Konkurrentin bei Massinisse, bleibt, welche die überstürzte Heirat von<br />

Massinisse und das Misstrauen der Römer veranlasst. Voltaires Sophonisbe<br />

(1770) gibt sich <strong>als</strong> Überarbeitung des Stücks von Mairet, ist aber eine völlige Neu-<br />

ment, qu'il cogneut bien que force luy seroit d'obeïr a un capitaine fort moderé, et tout ensemble fort severe.<br />

Parquoy il se retira en sa tente tout plourant, et ne sachant quel conseil prendre: mais bien tost apres, voyant<br />

qu'il luy estoit impossible de pouvoir tenir la promesse qu'il avoit faitte a Sophonisba, et que pourtant il en<br />

estoit en grande angoisse, il luy envoya du poison avec quelque mandement: elle beut le poison incontinent, et<br />

ainsi mourut vouluntairement.«<br />

77 Der Text Mairets ist bequem im Netz unter http://www.educnet.education.fr/lettres/lycee/latin/mairet.pdf<br />

(zuletzt aufgerufen: 04.05.2008) zugänglich. Kritische Ausgabe von Charles Dédéyan Paris 2 1969 ( 1 1945);<br />

Jean Mairet: Théâtre complet, La Sophonisbe - Le Marc-Antoine ou la Cléopâtre - Le Grand et Dernier Solyman<br />

ou la mort de Mustapha, Bd. I, hrsg. von Bénédicte Louvat / Alain Riffaud/ Marc Vuillermoz, Paris, 2004.<br />

78 Maurer, Karl: Goethe und die romanische Welt, Paderborn 1997, S. 223-241 hat in seinem Kapitel »<strong>Die</strong><br />

verkannte Tragödie, die Wiedergeburt der Tragödie aus dem Geist der Pastorale« interessante gattungsgeschichtliche<br />

Überlegungen vorgetragen, in deren Mittelpunkt die Sophonisbe-Fassungen Trissinos, Mairets<br />

und Corneilles stehen. »Vor allem bot die […] Sophoniba-Episode […] die geradezu ideale Vorlage für eine<br />

Tragödie jenes neuen Typs, den die paratragische Pastorale vorbereitet hatte: ein Spiel um Liebeswerben,<br />

Liebesverbot und Liebeserfüllung, auf des Messers Schneide zwischen Leben und Tod, nur eben mit tragischem<br />

Ausgang« (S. 241) Maurer verweist darauf, dass die Liebeshandlung erst in den beiden letzten Akten<br />

zugunsten der Politik in den Hintergrund tritt. -- Man könnte Maurers Analysen und seiner Umbesetzung des<br />

pastoralen Schemas noch hinzufügen, dass die dramatische Konstellation, in der Sophonisbe an einem Tag<br />

zwischen zwei Gatten zu wählen hat, zugleich an das komische Motiv der Witwe von Ephesus erinnert. Corneille<br />

erst hat aus seiner Sophonisbe eine politisch agierende, starke Frau gemacht, während Voltaire die<br />

starke Sophonisbe und den zunächst schwankenden Massinisse zu ebenbürtigen Partnern gestaltet.<br />

79 Mairet hebt diese Änderungen im Vorwort hervor: »Le sujet de cette tragédie est dans Tite-Live, Polybe, et<br />

plus au long dans Appien Alexandrin. Il est vrai que j'ai voulu ajouter pour l'embellissement de la pièce, et que<br />

j'ai même changé deux incidents de l'histoire assez considérables, qui sont la mort de Syphax, que j'ai fait<br />

mourir à la bataille afin que le peuple ne treuvât point étrange que Sophonisbe eût deux maris vivants, et celle<br />

de Massinisse, qui vécut jusques à l'extrême vieillesse. Les moins habiles doivent croire que je n'ai pas altéré<br />

l'histoire sans sujet, et les plus délicats verront, s'il leur plaît en prendre la peine, la défense de mon procédé<br />

dans Aristote. [...] Tant y a que je fais faire à Massinisse ce qu'il devait avoir fait, et que la fin de la tragédie<br />

étant la commisération, je ne la pouvais mieux treuver qu'en le faisant mourir...« <strong>Die</strong> Schlussszene, Massinisse<br />

ersticht sich an der Bahre Sophonisbes, wurde m. W. in der Historienmalerei nie aufgegriffen. <strong>Die</strong>s gilt auch für<br />

die beeindruckende Szene, in der Sophonisbe und Massinisse sich nach der von Syphax verlorenen Schlacht<br />

begegnen.<br />

80 Maurer a.a.O., S. 248.<br />

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