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Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

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IV Liebe, Patriotismus und Selbstbestimmung: Sophonisbe <strong>als</strong> <strong>Tugendheldin</strong><br />

dramatisiert. <strong>Die</strong> exemplarische Unerschrockenheit 44 , mit der Sophonisbe den Tod<br />

wählt, steht am Ende einer sich überstürzenden Entwicklung, in der sie sich immer<br />

der politischen Dimension ihres Handelns bewusst ist, auch wo sie ihre durch das<br />

Unglück noch verstärkten Reize (pium quoddam et insolitum decus) erneut einsetzt.<br />

In ihrer prekären Lage wendet sie sich an den numidischen König 45 , verlangt<br />

selbstbewusst den Schutz Massinissas und beteuert – der Handlung vorgreifend –,<br />

den Tod aus der Hand des Massinissa dem durch die Römer vorzuziehen. Von<br />

Sympathie und sexueller Begierde motiviert, heiratet Massinissa Sophonisbe auf<br />

der Stelle; die knappe Schilderung Boccaccios betont die erotische Ausstrahlung<br />

der Königin. 46 Mit dem unerbittlichen Widerstand Scipios konfrontiert, zieht sich<br />

Massinissa weinend in sein Zelt zurück und schickt seinen treuesten Sklaven mit<br />

Gift zu Sophonisbe. 47 Das der Königin in den Mund gelegte ultimum verbum hat<br />

Boccaccio fast wörtlich von Livius übernommen und dabei die Zweideutigkeit be-<br />

44 »Nec acrius dicta dedit quam poculum sumpserit et, nullo signo trepidationis ostenso, confestim hauxit omne;<br />

nec diu tumescens in mortem, quam petierat, miserabunda collapsa est. – Edepol annoso homini, cui iam<br />

vita tedium, nec spes alia preter mortem, nedum puellule regie, tunc, habito ad notitiam rerum respectu, vitam<br />

intranti et quid in ea dulcedinis sit percipere incipienti, magnum et admirabile fuisset, et nota dignum, morti<br />

certe adeo impavide occurrisse.« (›Sie sagte das so wenig verbittert, wie sie auch den Becher nahm und ohne<br />

sichtbares Zeichen der Furcht ganz leerte; sie rang nicht lange um Atem und starb, die Ärmste, wie sie sich es<br />

gewünscht hatte. – Selbst für einen betagten Menschen, den schon der Lebensüberdruss ergriffen hat und<br />

dem keine andere Hoffnung mehr <strong>als</strong> der Tod bleibt, wäre dies eine bewundernswert große Handlungsweise<br />

gewesen, noch mehr aber unter diesen Umständen, und gar für eine junge Königin, die am Beginn ihres Lebens<br />

zu erkennen begann, welche Wonnen es bietet. Bemerkenswert unerschüttert trat sie dem Tod entgegen.‹)<br />

(LXX,10f.)<br />

45 »Sic, rex incilte, deo visum est et felicitati tue ut in nos, qui paulo post ante reges eramus, que velis possis<br />

omnia. Verum si permissum est captive ut coram victore et vite mortisque sue domino supplices voces emictere<br />

possit eiusque genua atque dexteram victricem contingere, deiecta precor per maiestatem tuam, in qua et<br />

ego paulo ante eram, perque genus regium et comune numidicum nomen, etsi meliori suscipiaris omine, quam<br />

hinc abierit Syphax, in me, quam tui iuris noviter adversa fecit fortuna, agas quod in oculis tuis pium bonumque<br />

visum sit, dum modo insolenti et fastidioso, potissime Penis, Romanorum arbitrio viva non tradar. Facile enim<br />

potes advertere quid romana hostis, cartaginensis et Hasdrubalis filia – sino quod Syphacis coniunx – timere<br />

possim; et, si omnis in hoc alius tollitur modus, ut tua manu potius moriar facito, quam hostium in potestatem<br />

viva deveniam, precor et obsecro –.« (›Den Göttern und deinem Glück hat es gefallen, berühmter König, dass<br />

du mit uns, die wir gerade auch noch Könige waren, tun kannst, was du willst. Wenn eine Gefangene dem<br />

Sieger und Herrn über Leben und Tod Bitten vortragen, seine Knie und seine siegreiche Rechte umfassen<br />

darf, bitte ich dich vom Schicksal Begünstigten kniefällig, nachdem Syphax nicht mehr da ist, bei deiner königlichen<br />

Würde, die auch ich eben noch besaß, und beim gemeinsamen numidischen Namen, gegen mich zu<br />

handeln, wie du willst, da das Geschick mich von dir abhängig gemacht hat, wenn ich, mächtiger König, nur<br />

nicht lebend der Willkür der unverschämten und widerwärtigen Römer ausgeliefert werde. Was ich <strong>als</strong> Feindin<br />

der Römer, Karthagerin und Tochter des Hasdrubal und auch <strong>als</strong> Frau des Syphax befürchten muss, kannst<br />

du dir leicht vorstellen; dringend bitte ich dich, mich lieber mit eigener Hand zu töten – wenn es denn keine<br />

andere Möglichkeit gibt – <strong>als</strong> mich lebend in die Gewalt der Feinde geraten zu lassen.‹) (LXX,5-7)<br />

46 »Massinissa qui et ipse numida erat et, uti omnes sunt, in libidinem pronus, venustatem oris orantis inspiciens<br />

– addiderat quippe infortunium, pium quoddam et insolitum decus suplici – motus et humanitate et libidine<br />

tractus, cum nondum adventasset Lelius, uti erat in armis, dextera data, inter feminarum querulos ululatus<br />

et tumultum discurrentium undique militum, levavit orantem eamque sibi extemplo iunxit in coniugem, medio in<br />

strepitu armorum nuptiis celebratis.« (›Massinissa, selbst Numider und wie alle Numider der Sinnlichkeit sehr<br />

zugetan, betrachtete das schöne Antlitz der Bittstellerin; das Unglück hatte der Flehenden eine ungewöhnliche<br />

und gleichsam erhabene Schönheit verliehen. Mitleid und Begierde brachten ihn dazu, ihr, bewaffnet wie er<br />

war, inmitten des Geschreis der Frauen und des Lärms der von allen Seiten durcheinander laufenden Soldaten,<br />

noch vor dem Eintreffen des Laelius die Rechte zu reichen, die Bittende aufzuheben und sie sich <strong>als</strong> Ehefrau<br />

zu verbinden; die Hochzeitsformalitäten wurden inmitten des Waffenlärms vollzogen.‹) (LXX, 8)<br />

47 »accersiri ad se iussit quem ex servis fidelissimum habebat, cui commiserat servandum venenum ad incertos<br />

fortune casus, eique precepit ut illud, poculo dilutum, Sophonisbe deferret diceretque libenter se illi, quam<br />

sponte dederat fidem, servaturum si posset; verum, quoniam a quibus poterat arbitrium subtrahebatur suum,<br />

quam ipsa petierat, non absque merore suo, praestabat fidem, si uti velit, scilicet ne in potestatem viva veniat<br />

Romanorum; ipsa tamen patris patrieque et duorum regum, quibus paulo ante nupserit, memor, sibi quod<br />

videretur consilium summeret.« (›Massinissa ließ den treuesten seiner Sklaven herbeiholen, dem er für mögliche<br />

Schicks<strong>als</strong>schläge Gift in Verwahrung gegeben hatte, und befahl ihm, das Gift Sophonisbe in einem Becher<br />

aufgelöst zu überbringen und ihr mitzuteilen, er hätte sein ihr freiwillig gegebene Versprechen gerne gehalten,<br />

wäre es in seiner Macht; nun erfülle er, weil sein Wunsch von den Mächtigen missachtet würde, nicht<br />

ohne Trauer sein von ihr erbetenes Versprechen, sie nicht lebend in die Hand der Römer geraten zu lassen;<br />

eingedenk des Vaters, des Vaterlandes und zweier Könige, die sie geheiratet habe, solle sie die für richtig<br />

gehaltene Entscheidung treffen.‹) (LXX,9f.)<br />

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