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Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

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I ›Schönes Sterben‹<br />

aus neue Konzept ›paganer Märtyrer‹. Ohne Todesfurcht, frei von Ängsten, nur<br />

von der ratio geleitet, wurde der sterbende Philosoph zum idealen Bildtypus der<br />

Aufklärung. Im Sterben konnten die Theoretiker und Vertreter des praxisfernen phi-<br />

losophischen Gesprächs courage und pratique 31 zeigen, wenn es darum ging, für<br />

ihre Ideen einzustehen. Bei Seneca und Cato dem Jüngeren kam noch das will-<br />

kommene Skandalon des Selbstmords hinzu, der, zu einer Art profaner Selbster-<br />

mächtigung sublimiert, gegen die kirchliche Moral eingesetzt werden konnte.<br />

Gerade die nachtridentinische Frömmigkeitspraxis hatte der gottgefälligen<br />

Inszenierung der Sterbestunde neues Gewicht und geradezu Heilsbedeutung ver-<br />

liehen. Barocke Leichenpredigten versetzten mit übertreibenden Bildern die Gläu-<br />

bigen in Angst und Schrecken, um sie zu einem gottgefälligen Leben anzuleiten.<br />

So ist es nicht erstaunlich, wenn die Sterbestunde auch in der profanen Aufklärung<br />

eine neue Bedeutung erhielt. Entfielen die Tröstungen der positiven Religion, wur-<br />

de die Todesstunde zum Prüfstein für das gelebte Leben, das es in den letzten<br />

Augenblicken noch einmal in den Blick zu nehmen und zu bewähren galt. Hierin<br />

kamen sich die Intentionen der Gegenreformation und der Aufklärung erstaunlich<br />

nah. Während jedoch die seelsorgerische Praxis der Kirche dem Gläubigen in sei-<br />

ner letzten Stunde durch die Sterbesakramente Hilfe bot, war die Aufklärung zwar<br />

mit der Kirche auffällig in der Gewichtung des letzten Augenblicks einig, überließ<br />

die Bewältigung aber jedem Einzelnen. Was den Philosophen Sokrates, Seneca<br />

und Cato in ihrem vorbildlichen Sterben gelungen war, die moralische Identität bis<br />

zum letzten Augenblick zu bewähren, wurde für das aufgeklärte Publikum ein pro-<br />

fanes Exempel der Selbstbehauptung.<br />

So wurde der Philosophentod im 18. Jahrhundert zum Vorwurf von Dramen<br />

und Opernlibretti, aber auch zu einem beliebten Sujet der Historienmalerei. Gra-<br />

phische Blätter illustrierten den Text historiographischer Werke. 32 Das Sterben des<br />

Sokrates, der die von seinen Schülern vorbereitete Flucht ausschlägt, um sich<br />

selbst treu zu bleiben, avancierte geradezu zum Emblem des siècle philosophique.<br />

Mit seiner Mort de Socrate 33 (1787) fand Jacques-Louis David (1748-1825) wohl<br />

31 In der Encyclopédie wurde so der Tod des Sokrates charakterisiert. Vgl. Diderot, Denis / d’Alembert, Jean le<br />

Rond: Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers, par une société de gens<br />

de lettres, Paris 1780, Bd. 15, S. 261.<br />

32 So zum Beispiel Gravelots ›Sterbestunde des Sokrates‹ in Rollins Histoire Ancienne (Oberreuter-Kronabel,<br />

Der Tod des Philosophen, a.a.O., Abb. 1). Das historische Werk von Charles Rollin erfreute sich im 18. Jahrhundert<br />

größter Beliebtheit. Seine zwischen 1738 und 1776 erschienene Geschichte der Antike gehörte zu den<br />

geläufigen Informationsmöglichkeiten der Historienmaler.<br />

33 Katalog 90. Das Gemälde befindet sich heute in New York (Metropolitan Museum).<br />

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