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Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

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I ›Schönes Sterben‹<br />

Der undifferenzierte Gebrauch des Begriffs exemplum virtutis bekommt den<br />

konkreten historischen Horizont ikonographischer Innovationen nicht in den Blick.<br />

Gewiss sind der Tod der Lukretia oder der Kleopatra in vergleichbarer Weise<br />

exempla virtutis. Gleichwohl sind die durch Selbstmord wiederhergestellte morali-<br />

sche Integrität der vergewaltigten Lukretia und der resignative Freitod der betroge-<br />

nen ägyptischen Königin durchaus verschiedene Sachverhalte, deren moral-<br />

philosophische Semantisierung ganz gegensätzlich ausfallen<br />

konnte und von unterschiedlicher Reichweite war. Dass Luk-<br />

retia zum Modell weiblicher Keuschheit wurde, ist trotz der<br />

politischen Hintergründe der Episode nicht weiter über-<br />

raschend. Hingegen ist es durchaus bemerkenswert, dass<br />

auch der Selbstmord der Kleopatra <strong>als</strong> exemplum virtutis die-<br />

nen und eine Bildinszenierung 55 <strong>als</strong> profane Märtyrerin<br />

Abb. 8<br />

[Abb. 8] erhalten konnte, obwohl die Königin bereits in der Antike <strong>als</strong> lasziv und<br />

schamlos galt und so auch in der Ikonographie der Frühen Neuzeit des Historien-<br />

gemäldes tatsächlich auftrat.<br />

Der moralphilosophische Sinn eines exemplum unterliegt im Übrigen histori-<br />

schen Umdeutungen und Umbewertungen. So kritisierte <strong>August</strong>inus 56 im 5. nach-<br />

christlichen Jahrhundert Lukretia, obwohl sie in der römischen Geschichtsschrei-<br />

bung und Rhetorik bis dahin <strong>als</strong> unbestrittener Inbegriff weiblicher Keuschheit und<br />

<strong>als</strong> Vorbild für verheiratete Frauen galt. Der Hintergrund dieser Umwertung war<br />

natürlich die radikale Änderung, die das Christentum in der Bewertung des<br />

Selbstmords brachte, den in der Antike besonders die Philosophenschule der Stoa<br />

<strong>als</strong> ehrenhafte Strategie der Selbstbehauptung des Individuums propagiert hatte.<br />

Wird Lukretia weiterhin <strong>als</strong> exemplum virtutis verwendet, ist von einer Umbeset-<br />

zung des moralphilosophischen Hintergrundsinns auszugehen. Politische Konnota-<br />

tionen, wie ihre Rolle in der Entstehung der römischen Republik, lösen den Aspekt<br />

der persönlichen Selbstbehauptung ab. Der Selbstmord der Lukretia 57 wird deshalb<br />

in der Historienmalerei der Frühen Neuzeit entweder politisch gedeutet oder auf<br />

den Aspekt der weiblichen Keuschheit reduziert. Vergleichbare Umbesetzungen<br />

des Rezeptionshorizontes finden sich in der Darstellung des Freitods der Kleopat-<br />

55 Ich wähle <strong>als</strong> Beispiel (Katalog 72) die Kleopatra von Francesco Cozza (1605-1682).<br />

56 De civitate Dei 1,19<br />

57 Vgl. ausführlich unten S. 123ff.<br />

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