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Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

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V Römische <strong>Tugendheldin</strong>nen in der Ikonographie der Frühen Neuzeit<br />

mitführten, wenn sie einen besiegten Feind nicht in persona vorführen konnten. Mit<br />

dieser fiktiven Identität steigt die Bedeutung der Statue für den Leser, der sich nun<br />

vorstellen mag, die originale effigies aus <strong>August</strong>us’ Zeiten vor sich zu haben. <strong>Die</strong><br />

von Julius II. (v. 25ff.) veranlasste Aufstellung <strong>als</strong> Brunnenfigur wird so interpretiert,<br />

dass Kleopatra in dieser Inszenierung noch immer Tränen über den Tod des Antonius<br />

vergießt. Kurz darauf muss der <strong>als</strong> Brunnentrog dienende Sarkophag entfernt<br />

worden sein (v. 35). Leo X. hat bekanntlich den Brunnen restituiert; die Bitte der<br />

Statue (v. 36ff.) ist wohl <strong>als</strong> vaticinatio ex eventu zu deuten. Der Schluss des Gedichts<br />

beschreibt eine Idylle mit plätscherndem Brunnen, Bäumen und Vögeln, die<br />

wohl der Ausgestaltung des Statuenhofs <strong>als</strong> kleinem Innenhofgarten (viridarium)<br />

entsprach. 69<br />

Castigliones Verse belegen, dass die von Julius II. veranlasste erste Aufstellung<br />

verändert wurde und die Kleopatra-Statue wohl vorübergehend im Statuenhof ohne<br />

Brunnen zu sehen war. 70 <strong>Die</strong> alte Inszenierung und Deutung <strong>als</strong> »weinende Kleopatra«<br />

muss aber von Leo X. <strong>als</strong>bald (<strong>als</strong>o doch 1513) wieder hergestellt worden<br />

sein. Vielleicht wurde – aus welchen Gründen auch immer – der Sarkophag ausgewechselt.<br />

Unter mehreren Gesichtspunkten ist das Gedicht Castigliones für das sich in der<br />

Frühen Neuzeit herausbildende literarische und künstlerische Kleopatra-Bild von<br />

Interesse: Kleopatra erscheint <strong>als</strong> große Liebende (v. 32ff.), ihre Tränen gelten<br />

nicht dem eigenen Tod, sondern dem ihres Ehemannes Antonius (v. 32). Das rhetorische<br />

und dichterische Spiel mit den Tränen (lacrimae) und dem Brunnen der Inszenierung<br />

im Statuenhof bezieht die Tränen nicht auf den Selbstmord Kleopatras,<br />

sondern auf ihre Gattenliebe. Zur neustoisch beeinflussten Auffassung der<br />

›<strong>Selbstmörderin</strong> <strong>als</strong> <strong>Tugendheldin</strong>‹ gehört auch, dass Castiglione wohl <strong>als</strong> erster<br />

den Selbstmord selbst neustoisch <strong>als</strong> generosa cupido und ihren Tod (pulchra nex)<br />

<strong>als</strong> Voraussetzung der neu gewonnenen Freiheit (libertas parta nece) deutet.<br />

Wenn die Historienmalerei in der Folge die Ikonographie der <strong>als</strong> Kleopatra gedeuteten<br />

Statue aufgriff, die die <strong>Tugendheldin</strong> gelassen und beinahe entspannt in den<br />

Freitod hinübergleiten lässt, übernahm sie wohl den zum ersten Mal in der Ekphrasis<br />

Castigliones greifbaren neustoischen Deutungsansatz. 71<br />

<strong>Die</strong> von der antiken Ariadne-Kleopatra-Statue sich ableitende Pathosformel, die<br />

der auf die Verzweiflung abhebenden völlig entgegengesetzt ist, wurde von der<br />

Historienmalerei unermüdlich aufgegriffen und variiert. So hat die Graphik des 16.<br />

Jahrhunderts zwei unterschiedliche Mustervorstellungen des Sterbens Kleopatras<br />

hervorgebracht. <strong>Die</strong>s unterscheidet Kleopatra deutlich von den anderen hier be-<br />

handelten <strong>Tugendheldin</strong>nen; denn nur Kleopatras Sterben wurde in so entgegen-<br />

gesetzten Interpretationen behandelt. Einzelne Künstler wie Guercino haben den<br />

69 Vgl. Gombrich, a.a.O., S. 128ff. Auch Giovanni Francesco Pico della Mirandola spricht in seinem Brief an<br />

Lilius Gregorius Giraldi (<strong>August</strong> 1512) von einem »nemore citriorum illo odoratissimo constrato silice« und von<br />

»lucus« (vgl. Abdruck des Briefes vom <strong>August</strong> 1512 bei Brummer, a.a.O., S. 273)<br />

70 Der Cortile wird in Castigliones Gedicht <strong>als</strong> signa veterum heroum (v. 27) bezeichnet.<br />

71 Vgl. S. 177ff.<br />

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