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Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

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IX Von der vertu zum Affekt<br />

öffentlich machten. Das nur mäßig gefältelte griechische Gewand lässt auch in<br />

dieser angespannten und verzweifelten Haltung noch einen ausgewogenen Kont-<br />

rapost erkennen.<br />

<strong>Die</strong> Sophonisbe-Attitüde der Lady Hamilton verdeutlicht, dass sich die Bild-<br />

dramaturgie der ›<strong>Selbstmörderin</strong> <strong>als</strong> <strong>Tugendheldin</strong>‹ seit der Frühen Neuzeit völlig<br />

verändert hat. Stand im neustoischen Bildprogramm Sophonisbes Tod <strong>als</strong> Beispiel<br />

für die Selbstbehauptung einer ›starken Frau‹, tritt nunmehr die Affektdarstellung<br />

völlig in den Vordergrund. In einer Attitüdenperformance mythologischer oder<br />

historischer Figuren wurden offensichtlich extreme Affekte dargestellt und insze-<br />

niert. <strong>Die</strong> romantischen Betrachter der Sophonisbe-Attitüde interessierten sich<br />

nicht mehr für neustoische constantia und den Konflikt von Liebe und Politik, son-<br />

dern für den verzweifelten Seelenzustand einer zum Selbstmord entschlossenen<br />

Frau. 117 <strong>Die</strong> immer noch vorausgesetzte historische Reminiszenz dient nur noch<br />

<strong>als</strong> Ausgangspunkt einer Performance, für die der weibliche Körper zur ›Einschrei-<br />

befläche‹ für Wandlungen der Seele wird. 118 <strong>Die</strong> Modifikationen des Körperaus-<br />

drucks, auf die die Attitüdenkunst setzt, bringen die psychischen Folgen eines ab-<br />

soluten Affekts zum Ausdruck, versteht man sie <strong>als</strong> »natürliche Folgen der inneren<br />

Beschaffenheit der Seele« 119 , wie es Johann Jakob Engel in seinen Ideen zu einer<br />

Mimik formulierte. Das allmähliche Verblassen des neustoischen Tugendbegriffs,<br />

der den Affekt nur <strong>als</strong> Gegenpol benötigte, zeigt sich darin, dass die romantische<br />

Attitüde nur noch auf die Affektdarstellung abhebt. 120<br />

117 Bezeichnenderweise wählte Lady Hamilton für ihre Inszenierung der Kleopatra aus den zahlreichen denkbaren<br />

Episoden den Kniefall vor Octavian. Der Epochengeschmack forderte eine ägyptische Königin, die sich<br />

demütigt, und nicht eine selbstbewusste Frau, die ihren Selbstmord wählt, um einer (politischen) Erniedrigung<br />

zu entgehen.<br />

118 Es gab übrigens bezeichnenderweise nur einen einzigen männlichen Attitüdenkünstler, Gustav Anton Freiherrn<br />

von Seckendorff (1775-1823), der unter dem Künstlernamen Patrik Peale auftrat und dem nicht zufällig<br />

homosexuelle Neigungen nachgesagt wurden. Er wird in einem Brief der Friederike Brun an Caroline von<br />

Humboldt vom 13. April 1811 erwähnt: »[...] Wir haben hier [in Kopenhagen] den berühmten Pantomimen –<br />

Deklamateur – Bildsäulen – u. Gemählde-Darsteller Patrick Peale (Sein wahrer Nahmen ist Seckendorff und<br />

Er war einst Cammerpräsident in Hildburghausen, welchen Posten Er aufgab weil der Fürst immer mehr Geld<br />

für Seine Maitreßen brauchte <strong>als</strong> der Präsident schaffen konnte. Nun lebt Er nebst der Frau u 3 Kindern von<br />

Seinem Talent – ach jämmerlich gering! Er ist voll Geist u. Seine Pantomimie u Deklamation ist vortrefflich.<br />

Allein Er will zu viel lästern – u hat hier Ärgerniß gegeben durch mahlerische Darstellung der Leiden Christi im<br />

Oelberg – u der Himmelfarth. <strong>Die</strong>s sind auch für mich ärgerliche Spielereien. Aber Wilhem Tell – Lord Lester –<br />

Macbeth – sollten Sie ihn deklamiren hören – u Erlkönig! U alte Gemählde darstellen! Hier sind wir für all' das<br />

noch nicht gebohren; u wenn Er die Progreßion der Kunst von der Mumie, zum ersten aiguptischen Bildhauerwerk<br />

– bis zum Apoll v. Belvedere darstellt sollten Sie die Urtheile des Auditoriums hören! Allein vor allem<br />

sollte er nach Rom gehen! [...]« (zitiert nach Foerst-Crato, Ilse: Frauen zur Goethezeit, Ein Briefwechsel, Caroline<br />

von Humboldt Ŕ Friederike Brun, Düsseldorf [Eigenverlag] 1975, S. 31).<br />

119 Engel, Johann Jakob: Ideen zu einer Mimik, Berlin 1785, 2 Bde, hier Bd. 1, S. 8.<br />

120 Ein weiteres Indiz für diese Entwicklung findet sich in einer anderen Kunstgattung. Auch R o l l e n p o r tr<br />

ä t s von Damen der Gesellschaft scheinen in der Romantik zum ersten Mal das Thema der profanen <strong>Tugendheldin</strong>nen<br />

aufzugreifen. So ließen sich die Fürstin Maria Santacroce von Angelika Kauffmann <strong>als</strong> Lukretia<br />

(Katalog 220) und Kitty Fisher von Joshua Reynolds <strong>als</strong> Kleopatra (Katalog 221) malen, obwohl die Identifika-<br />

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