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Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

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IV Liebe, Patriotismus und Selbstbestimmung: Sophonisbe <strong>als</strong> <strong>Tugendheldin</strong><br />

<strong>Die</strong> römische Unnachgiebigkeit stürzt Massinissa in einen unlösbaren poli-<br />

tisch-moralischen Konflikt 19 : Durch einen Boten teilt der König Sophonisbe mit, er<br />

sei nicht mehr Herr seiner eigenen Entscheidungen und könne nur seine Zusage<br />

halten, sie nicht in die Macht der Römer gelangen zu lassen. Er lässt ihr einen Be-<br />

cher mit Gift überbringen, damit sie eine ihrer politischen Rolle würdige Entschei-<br />

dung 20 treffen kann. Livius dramatisiert auch diese Szene und gibt Sophonisbe<br />

noch einmal das Wort, bevor sie furchtlos den Giftbecher trinkt. 21 <strong>Die</strong>ser Auftritt der<br />

Königin, in dem Wort und Handlung theatralisch miteinander verknüpft sind, er-<br />

langte in der Rezeptionsgeschichte der historischen Episode zentrale Bedeutung.<br />

Im Zusammenhang seiner Geschichtsschreibung und seiner Darstellung des<br />

Zweiten Punischen Krieges ist die Katastrophe der Sophonisbe 22 für Livius eine<br />

Episode, mit der sich die Gefährlichkeit der nordafrikanischen Gegner Roms ver-<br />

anschaulichen ließ. In der Frühen Neuzeit konnte die beiläufige Anekdote zum<br />

Vorwurf für großes politisches Theater werden, weil Livius, der die hellenistische<br />

Geschichtsschreibung aufgreifend nicht annalistisch erzählte, aus ihr eine span-<br />

nende und unterhaltsame Szene gestaltete, die Boccaccio zu Recht faszinierte.<br />

Weitere Details ließen sich in der im zweiten nachchristlichen Jahrhundert<br />

entstandenen Römischen Geschichte (Ῥωμαϊκά) des A p p i a n finden. 23 Er be-<br />

handelt in seinem Karthagischen Buch die römische Eroberungspolitik und kommt<br />

in diesem Zusammenhang auch auf Sophonisbe zu sprechen. Seine Erzählregie<br />

ist nicht an der Persönlichkeit der karthagischen Königin, sondern am politischen<br />

Wechselspiel interessiert, das ihre Verbindungen mit Syphax und Massinissa be-<br />

stimmt. Im Gegensatz zu Livius setzt er eine Verlobung mit Massinissa voraus, <strong>als</strong><br />

Sophonisbe auf politischen Druck der Karthager mit Syphax verheiratet wird, dem<br />

dam<strong>als</strong> mächtigsten Mann in Afrika. Deshalb stehen das gekränkte Ehrgefühl und<br />

19<br />

Den inneren Konflikt begleiten bei Livius lebhafte Gefühlsäußerungen (suspiritus und gemitus) (Ab urbe<br />

condita, 30,15,3).<br />

20<br />

»memor patris imperatoris patriaeque et quorum regum quibus nupta fuisset« (›Sie solle an ihren Vater, den<br />

Feldherrn, an ihr Vaterland denken und daran, dass sie mit zwei Königen verheiratet war‹.) (Ab urbe condita,<br />

30,15,6)<br />

21<br />

»›Accipio‹ inquit ›nuptiale munus, neque ingratum si nihil maius uir uxori praestare potuit. hoc tamen nuntia,<br />

melius me morituram fuisse si non in funere meo nupsissem.‹ non locuta est ferocius quam acceptum<br />

poculum, nullo trepidationis signo dato, impauide hausit.« (›Sie sagte: Ich nehme die Hochzeitsgabe an; sie ist<br />

mir willkommen, wenn der Ehemann seiner Gattin nichts Besseres bieten kann. Sage ihm jedoch, der Tod<br />

wäre mir leichter gefallen, wenn ich nicht an meinem Todestag geheiratet hätte. Gelassen, wie sie den<br />

Giftbecher entgegengenommen hatte, trank sie ihn ohne Zeichen von Unruhe aus.‹) (Ab urbe condita, 30,15,7)<br />

22<br />

Ab urbe condita, 30,12-15<br />

23<br />

Appian von Alexandria: Römische Geschichte, Erster Teil: <strong>Die</strong> römische Reichsbildung, hrsg. und übers. von<br />

Veh, Otto / Brodersen, Kai, Stuttgart 1987.<br />

62

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