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Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

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IX Von der vertu zum Affekt<br />

»stazioni sentimentali« 47 , die Darstellung von extremen Affekten. Hierin berührt<br />

sich die Ästhetik der opera seria durchaus mit der Affektkonturierung in der gleich-<br />

zeitigen Historienmalerei, wie sie Le Brun in seinem Traktat Expression des passi-<br />

ons de l'âme formuliert hat. 48 Zur Operntechnik, möglichst abwechslungsreiche und<br />

kontrastive Affektinszenierungen zu zeigen, gehört die sich immer stärker durch-<br />

setzende Abgangsarie, bei der die Sänger nach der ausdrucksvollen Schilderung<br />

ihrer Affekte abtreten und so beim Zuschauer den Eindruck eines absoluten Affekts<br />

hinterlassen.<br />

<strong>Die</strong> musikalische Affektkonturierung findet so in der ultima scena ihren Hö-<br />

hepunkt, in der Metastasio das Sterben Didos eindrucksvoll inszeniert, ein<br />

Schlussbild, auf das hin die ganze Opernhandlung angelegt ist. <strong>Die</strong> abschließende<br />

Szene der Didone abbandonata präsentiert nicht nur ein eindrucksvolles Finale, zu<br />

dem übrigens Zuschauer 49 unentgeltlich eingelassen wurden, um sie zu künftigen<br />

Opernbesuchen zu animieren, sondern erinnert nicht zufällig auch an die Affekt-<br />

darstellung der Historienmalerei des 18. Jahrhunderts, die vor allem in den einfigu-<br />

rigen Varianten ebenfalls isolierte Affekte darstellte, mit Folgen bis zur Attitüden-<br />

kunst des beginnenden 19. Jahrhunderts. 50<br />

Metastasio schildert in der Tiefenstruktur seines Libretto den psychologi-<br />

schen Prozess einer gänzlichen Vereinsamung, in der alle Verletzungen gleichwer-<br />

tig werden. Der Aufbau des Libretto beruht auf dem immer wieder verzögerten<br />

Aufbruch des Enea und der sich stets steigernden Vereinsamung der Didone bis<br />

zum Schlussbild, das die Königin in völliger Isolation zeigt: sola, tradita, abbando-<br />

nata (III,17). Sie verliert alle Vertrauten: Enea mi lascia, trovo Selene infida, Iarba<br />

m' insulta, e mi tradisce Osmida (III,20). Ohne Dialogpartner ist die Schlussarie<br />

nurmehr ein stammelndes Selbstgespräch, das Verzweiflung (furore) <strong>als</strong> letzten<br />

und absoluten Affekt zum Ausdruck bringt:<br />

Ah che dissi, infelice! A qual eccesso<br />

mi trasse il mio furore?<br />

Oh dio, cresce l'orrore! Ovunque io miro,<br />

mi vien la morte e lo spavento in faccia:<br />

trema la reggia e di cader minaccia.<br />

Selene, Osmida! Ah! tutti,<br />

47 2<br />

Ferroni, Giulio in: Storia della letteratura italiana, 4 Bde, Milano 1992, Bd. 2, S. 380.<br />

48<br />

Vgl. oben S. 90.<br />

49<br />

<strong>Die</strong> ultima scena fasste die Handlungs-und Affektstruktur der Oper zusammen und warb damit beim potentiellen<br />

Publikum: Gottdang, Andrea: Venedigs antike Helden, <strong>Die</strong> Darstellung der antiken Geschichte in der<br />

venezianischen Malerei von 1680 bis 1760, München 1999, S. 160.<br />

50<br />

Vgl. oben S. 219.<br />

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