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Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

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IV Liebe, Patriotismus und Selbstbestimmung: Sophonisbe <strong>als</strong> <strong>Tugendheldin</strong><br />

nischen Plänen dem Theaterbau hinzugefügt hat, sind Fresken aus den neunziger<br />

Jahren des 16. Jahrhunderts erhalten, die an wichtige Theaterereignisse erinnern.<br />

Ein Fresko zeigt die Aufführung der Sofonisba des Trissino. 61 Dem Theaterpubli-<br />

kum und einer breiteren Öffentlichkeit war die initiatorische Bedeutung des Stückes<br />

für die frühneuzeitliche Bühne durchaus bewusst, wie diese Illustration belegt.<br />

Der Vorwurf des Stücks folgt den beiden antiken Hauptquellen, wird aber nicht<br />

mehr wie bei del Carretto historisch-chronistisch in eine Bilderfolge umgesetzt,<br />

sondern um einen »nucleo erotico-politico« 62 konstruiert. Mit seiner Sofonisba folgt<br />

Trissino nicht römischen, sondern griechischen Modellen und nimmt damit in einer<br />

Streitfrage unter den Humanisten Stellung, die sich zum Beispiel auch in der ersten<br />

kommentierten Aristoteles-Ausgabe (1548) des Francesco Robortello 63 und der<br />

ersten italienischen Übersetzung der aristotelischen Poetik (1549) von Bernardo<br />

Segni niederschlug. 64 Trissino selbst hat in seiner Quinta divisone della Poetica<br />

(1562 postum veröffentlicht) Aufbau und Ausführung seiner Sofonisba begründet. 65<br />

Seine Tragödie wurde mit den drei Einheiten von Handlung, Ort und Zeit und mit<br />

der Handlungsdurchführung in fünf Akten (Exposition, Steigerung der Verwicklung,<br />

Höhepunkt mit entscheidendem Geschehen, Peripetie und Katastrophe) eine entscheidende<br />

Weichenstellung für das klassizistische europäische Theater. Das dramentechnische<br />

Repertoire (Teichoskopie, Stichomythie, Rückblende, Retardierung,<br />

vaticinatio ex eventu) beherrschte Trissino bereits meisterhaft.<br />

In seiner dramatischen Umsetzung fügt Trissino der historischen Überlieferung<br />

zwei Personen hinzu: Auf die Emotionen der Zuschauer zielend wird Sofonisba<br />

Mutter eines Sohnes von Syphax. 66 Dramentechnisch besonders folgenreich ist die<br />

Einführung der Erminia <strong>als</strong> einer Vertrauten Sofonisbas. 67 Im Zwiegespräch mit ihr<br />

wird in einem Rückblick an die aufgelöste Verlobung mit Massinissa erinnert. <strong>Die</strong><br />

Einführung der Vertrauten erlaubt es der Protagonistin, ›öffentliche‹ und ›private‹<br />

Sphäre zu unterscheiden. In der Sterbeszene übernimmt Erminia die Rolle eines<br />

alter ego, das Emotionen, Trennungsängste und Affekte formulieren darf. 68<br />

Angelpunkte des dramatischen Geschehens 69 sind die Unterredung zwischen Sophonisbe<br />

und Massinissa (vv. 390-605), der Dialog zwischen Scipio und Massinissa<br />

61<br />

Abgebildet bei Beyer, Andreas: Andrea Palladio, Teatro Olimpico, Triumpharchitektur für eine humanistische<br />

Gesellschaft, Frankfurt 1987, S. 36.<br />

62<br />

So Ariani, Marco, a.a.O., im Vorwort o. S.<br />

63<br />

In librum Aristotelis de arte poetica explicationes Florenz, 1548 bei Torrentino erschienen.<br />

64<br />

<strong>Die</strong> Übersetzung der Poetik des Aristoteles erschien zusammen mit anderen aristotelischen Texten ebenfalls<br />

bei Torrentino. Vgl. Stillers, Rainer: Humanistische Deutung, Studien zu Kommentar und Literaturtheorie<br />

in der italienischen Renaissance, Düsseldorf 1988, bes. S. 107-179.<br />

65<br />

Ariani, Marco (Hrsg.): Il teatro italiano, Bd. 2: La tragedia del Cinquecento, Turin 1977, S. XV.<br />

66<br />

Das Motiv wird in der Historienmalerei im Gegensatz zur Bühnentradition selten aufgegriffen. Vgl. aber zu<br />

Giambattista Crosato S. 99.<br />

67<br />

In ihrer Premessa bezeichnet Ariani fälschlicherweise Erminia <strong>als</strong> nutrice, was sich durch einen einzigen<br />

Blick in den Text widerlegen lässt. Sofonisba vertraut kurz vor ihrem Tod Erminia ihren kleinen Sohn an und<br />

bezeichnet sie <strong>als</strong> Verlobte ihres Bruders (»E stando in casa ancor darai conforto / a la mia vecchia e sconsolata<br />

madre, / che già ti elesse moglie a mio fratello, / e ora le sarai figliuola e nuora.« [vv 1818ff.]).<br />

68<br />

Vv. 1737-2091.<br />

69<br />

Obwohl die heute gebräuchliche Einteilung in Akte und Szenen noch nicht vorgenommen ist, lassen sich in<br />

den 2103 Versen des Stücks fünf Akte unterscheiden, da der Fragen stellende und wertende Chor jeweils am<br />

71

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