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Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

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VIII Tema con variazioni – Bildprogramme<br />

Boccaccios De claris mulieribus auch in den Bildkünsten eine selbständige Kon-<br />

zeption profaner weiblicher <strong>Tugendheldin</strong>nen. Es ist im Übrigen bemerkenswert,<br />

dass das Motiv der <strong>Selbstmörderin</strong> <strong>als</strong> <strong>Tugendheldin</strong> zum ersten Mal in den folgen-<br />

reichen Holzschnitten 32 auftritt, die 1473 in Zainers Werkstatt zu Boccaccios De<br />

claris mulieribus entstanden und mit denen der Bildtypus der mulier fortis 33 Kontu-<br />

ren gewinnt. In den selbständigen Bildzyklen des 15. Jahrhunderts scheint die Tu-<br />

gendheldin <strong>als</strong> <strong>Selbstmörderin</strong> noch keine Rolle gespielt zu haben. 34<br />

Um die Jahrhundertwende datiert Richard-Jamet einen inzwischen zerstreu-<br />

ten Zyklus, der mit der Familie Piccolomini in Siena in Zusammenhang gebracht<br />

wird. 35 Es handelt sich vielleicht um die erste Bildfolge, die männliche und weibli-<br />

che Protagonisten gleichberechtigt nebeneinander stellt. <strong>Die</strong> Auftraggeber ließen,<br />

soweit sich dies rekonstruieren lässt, durch mehrere Künstler eine Folge von vier<br />

Männer und vier Frauen zusammenstellen: Scipio 36 , Judith 37 , Sulpicia 38 , Claudia<br />

Quinta [Abb. 2] 39 , Artemisia, Alexander [Abb. 3], Tiberius Gracchus und Eunostos<br />

von Tanagra 40 . <strong>Die</strong>ser ›gemischte Zyklus‹<br />

könnte eine Schlüsselrolle in der Entwick-<br />

lung in Siena gespielt haben und ist des-<br />

halb für meine Argumentation im Folgen-<br />

den von Gewicht.<br />

Am Beginn ›autonomer‹ Bildprog-<br />

ramme weiblicher <strong>Tugendheldin</strong>nen ste-<br />

Abb. 2 Abb. 3<br />

tales, des saintes. On jette l'opprobre sur les héroïnes les plus irréprochables, on justifie les actes des plus<br />

barbares ; certaines ne sont pas exemptes d'un certain érotisme, d'une sensualité avérée, faussant ainsi<br />

l'image de l'héroïne et déformant ses exploits.«<br />

32 Vgl. oben S. 78.<br />

33 Der Begriff der ›starken Frau‹ geht auf Prv 31, 10 (M u l i e r e m f o r t e m quis inveniet procul et de ultimis<br />

finibus eius confidit in ea cor viri sui et spoliis non indigebit.) zurück.<br />

34 Hinzuweisen ist besonders auf den Zyklus der uomini famosi und donne famose, den Andrea del Castagno<br />

um 1450 in der suburbanen V i l l a C a r d u c c i (die in der Literatur auch nach dem Vorort von Florenz, in<br />

dem sie sich befindet, <strong>als</strong> V i l l a L e g n a i a bezeichnet wird) freskiert hat. Es handelt sich vielleicht um den<br />

frühesten erhaltenen ›gemischten Zyklus‹ (heute in den Uffizien) mit Männern und Frauen, der auch eine Sibylle,<br />

eine Amazone und eine Esther enthält. Vgl. Hansmann, a.a.O., S. 96 und Abb. 1, 5, 6 und 7.<br />

35 Vgl. an versteckter Stelle Richard-Jamet, a.a.O., S. 528. <strong>Die</strong> Gemälde sind in Öl auf Holz ausgeführt und<br />

enden alle oben im Halbrund. Das Piedestal der Dargestellten enthält eine erläuternde lateinische Inschrift.<br />

Jede Figur hält ihr Attribut und steht, durch den Sockel erhöht, vor einer Landschaft, in der häufig eine Stadt zu<br />

sehen ist. Alle Gemälde, außer der Sulpicia, tragen das gleiche halbmondähnliche Zeichen, das auf die Familie<br />

Piccolomini verweisen könnte (dazu Richard-Jamet, S. 83).<br />

36 Von Francesco di Giorgio; heute in Florenz (Bargello).<br />

37 Von Matteo di Giovanni heute in Bloomington (Indiana University Art Museum).<br />

38 Von Giacomo Pacchiarotto; heute in Baltimore (Walters Art Gallery).<br />

39 Von Neroccio de’Landi und Le Maître de Griselda; heute in Washington (National Gallery of Art).<br />

40 Alle vom Maître de Griselda. Artemisia heute in Mailand (Museo Poldi Pezzoli); Alexander heute in Birmingham<br />

(Barber Institute of Fine Arts); Tiberius Gracchus heute in Budapest (Szepmueveszeti Muzeum); Eunostos<br />

von Tanagra heute in Washington (National Gallery of Art).<br />

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