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Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

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VII Posttridentinische Märtyrer und stoische Tugendhelden<br />

Das substantialistische Missverständnis der einfachen Gläubigen und des populä-<br />

ren Wunderglaubens beschäftigte die theologische Reflexion natürlich weiterhin,<br />

zumal sich aus der tridentinischen Ikonologie die paradoxe Folge ergab, dass ge-<br />

rade rhetorisch besonders gelungene Darstellungen den bloßen Repräsentations-<br />

charakter gefährdeten oder doch für die Gläubigen in den Hintergrund treten lie-<br />

ßen. Deshalb verhandelten Lok<strong>als</strong>ynoden, wie die venezianische von 1594, weiter<br />

die Bilderfrage und versuchten, gegen den von den Protestanten geschmähten<br />

Missbrauch religiöser Bilder anzugehen:<br />

Cum imagines Christi, Deiparae Virginis, et aliorum sanctorum in templis praesertim<br />

habendas et retinendas esse a catholicis patribus sit definitum, non quod in eis<br />

aliquid divinitatis, vel virtutis insit, sed ut omnis veneratio ac cultus ad p r o t o t y p a<br />

earundem referatur. Proinde parochi diligenter attendant, ne quis simplicitate ductus<br />

labatur, sed doceant m e n t e r e p e t e n d a e s s e q u a e p i c t a , v e l<br />

s c u l p t a oculus prospicit, cum hinc profecto ad veram Dei adorationem et dilectionem<br />

quis pervenire possit. 25<br />

Bilder religiösen Inhalts sollten auf keinen Fall <strong>als</strong> solche verehrt werden, auf ihrem<br />

Verweischarakter war zu bestehen. <strong>Die</strong> kirchliche Unterweisung hob darauf ab,<br />

dass die auf den Bildern nur dargestellten prototypa <strong>als</strong> Exempel für vorbildliches<br />

christliches Leben zu ›lesen‹ waren und auf keinen Fall die Bilder <strong>als</strong> solche ver-<br />

ehrt werden durften. <strong>Die</strong>se Ästhetik des Verweises 26 hat in der nachtridentinischen<br />

Kunst der katholischen Reform oberste Priorität.<br />

In der katholischen Reformbewegung wurde lebhaft darüber diskutiert, wie<br />

sich kontroverstheologische katholische Glaubensinhalte überzeugend ›ins Bild<br />

setzen‹ ließen. Johannes Molanus (De Picturis et Imaginibus Sacris, 1570), Gab-<br />

riele Paleotti (De sacris et profanis imaginibus, 1582) und vor allem Federico Bor-<br />

romeo mit seinem 1624 erschienenen einflussreichen Traktat De Pictura Sacra<br />

förderten die Entwicklung gegenreformatorischer Bildkonzepte, die auf identifikato-<br />

25 Das Dekret der venezianischen Synode von 1594 nach Seidel, Martin: Venezianische Malerei zur Zeit der<br />

Gegenreformation, Kirchliche Programmschriften und künstlerische Bildkonzepte bei Tizian, Tintoretto, Veronese<br />

und Palma il Giovane, Münster 1996, S. 311. (›Wenn die Konzilsväter bestimmt haben, dass die Bilder<br />

Christi, der jungfräulichen Gottesmutter und anderer Heiligen besonders in den Kirchen ihren Platz finden<br />

sollen und zu bewahren sind, dann nicht, weil den Bildern etwas Göttliches oder eine besondere Eigenschaft<br />

zukäme, sondern damit sich alle Verehrung und Anbetung auf das Dargestellte richtet. Deshalb sollen die<br />

Pfarrer sorgfältig darauf achten, dass niemand aus Einfalt irrt; vielmehr sollen sie lehren, dass Bilder und<br />

Skulpturen, die das Auge erblickt, erst vom Verstand aufgegriffen werden müssen, wenn sie in der Tat zur<br />

wahren Gottesverehrung und Gottesliebe führen sollen.‹)<br />

26 Es wurde zurecht darauf hingewiesen (Imorde, Joseph: Affekt-Übertragung, Berlin 2004, S. 172ff.), dass<br />

Ignatius von Loyola, Filippo Neri und Clemens VIII. eine Betrachtungskultur propagierten, die sich nicht auf das<br />

Bild, sondern auf das Bezeichnete konzentrierte und im »Akt der Beschauung« zum verborgenen Prototypus<br />

durchzudrang. Ihre stark affektisch geprägte Frömmigkeitspraxis ist zwar stark der »Empfindungskultur des<br />

späten 16. Jahrhunderts« verpflichtet, demonstriert aber gerade deshalb »die Trennung des Zeichens vom<br />

Bezeichneten« und das Überwinden der Kunst »in einem inneren Kontemplationsakt«.<br />

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