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Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

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VII Posttridentinische Märtyrer und stoische Tugendhelden<br />

Ikonographie und persuasive Funktion kirchlicher und profaner ›Andachtsbilder‹<br />

durchaus miteinander vergleichen.<br />

Als erster hat bekanntlich Goethe im Faust-Fragment von 1790 den Begriff des Andachtsbildes<br />

verwendet. Voll Reue versenkt sich Gretchen vor einer Madonna ins<br />

Gebet: »In einer Mauerhöhle ein A n d a c h t s b i l d der Mater dolorosa, Blumenkrüge<br />

davor. Gretchen steckt frische Blumen in die Krüge.« 7 In der kunstwissenschaftlichen<br />

Begriffsgeschichte des ›Andachtsbilds‹ 8 konkurrieren ikonographische und<br />

funktionale Ansätze. Das Andachtsbild wurde von <strong>Georg</strong> Dehio und Wilhelm Pinder<br />

nach 1920 zunächst i k o n o g r a p h i s c h definiert und nur auf Skulpturen bezogen.<br />

Erwin Panofsky erweiterte den Begriff über die Plastik hinaus auf die Malerei und<br />

unterschied mit seinem formgeschichtlichen Ansatz 9 verschiedene Bildtypen des<br />

Andachtsbilds. Dorothee Klein greift diesen Ansatz in ihrem zusammenfassenden<br />

Artikel 10 auf und spricht mit Panofsky vom »Zeigegestus« der Bildsprache, der das<br />

Andachtsbild vom »szenischen Historienbild« und vom »kultischen Repräsentationsbild«<br />

unterscheide. Einen f u n k t i o n a l e n Ansatz vertritt implizit bereits Rudolf<br />

Berliner 11 , wenn er jedem Kunstwerk die Möglichkeit zugesteht, devotionale Gefühlsbeziehungen<br />

auszulösen, und im Rückbezug auf mittelalterliche Erbauungsliteratur<br />

den Begriff ›Erbauungsbilder‹ vorschlägt. Auch Hans Aurenhammer sen. vertritt<br />

eine funktionale Definition und bezeichnet <strong>als</strong> Andachtsbilder Werke, die eine liturgisch<br />

nicht gebundene Frömmigkeit freisetzen. 12 Während Sixten Ringbom 13<br />

noch einmal auf den ikonographischen Ansatz Panofskys zurückgreift, verbindet<br />

erst Horst Appuhn den ikonographischen und den funktionalen Ansatz: So wie auch<br />

szenische Historienbilder der Andacht dienen können, ohne dass sie einem der<br />

Bildtypen Panofskys zuzurechnen wären, können auch Andachtsbilder im engeren<br />

Sinne andere Funktionen <strong>als</strong> die vorgesehene kontemplative Versenkung über-<br />

7 FA 7/1, hrsg. von Albrecht Schöne), S. 156. Bereits im Faust-Fragment lautet die Szenenanweisung genau-<br />

so, vgl. MA 3,1, S. 585.<br />

8 Schade, Karl: Andachtsbild, <strong>Die</strong> Geschichte eines kunsthistorischen Begriffs, Weimar 1996. Meine Untersuchung,<br />

die auf die Vergleichbarkeit profaner und kirchlicher ›Andachtsbilder‹ abhebt, kann sich der funktionalen<br />

Definition Schades anschließen: »Andachtsbilder sind religiöse Bilder für den Gebrauch des einzelnen<br />

Gläubigen, deren Form von der Aufgabe bestimmt ist, diesem eine affektive Annäherung an das Dargestellte<br />

nahezulegen. Andachtsbilder sollen das Innerste anrühren und gleichzeitig <strong>als</strong> Gegenüber empfunden werden<br />

können. <strong>Die</strong>ser Aufgabe konnten zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Motive dienen. Daher kann man<br />

›Andachtsbild‹ nicht endgültig definieren, sondern immer nur in seinen konkreten historischen Formen und<br />

Funktionen untersuchen« (a.a.O., S. 96). <strong>Die</strong>ser Sachverhalt gilt mutatis mutandis auch für das neustoisch<br />

inspirierte Historiengemälde (vgl. oben S. 198ff.).<br />

9 Panofsky, Erwin: »Imago pietatis. Ein Beitrag zur Typengeschichte des Schmerzensmannes und der Maria<br />

Mediatrix«, in: Festschrift für Max Friedländer zum 60. Geburtstag, Leipzig 1927, S. 261-308. Unter formgeschichtlichen<br />

Gesichtspunkten situiert Panofsky das Andachtsbild zwischen epischem Historien- und hieratischem<br />

Repräsentationsbild; es entsteht aus der »Verzuständlichung« des Historienbildes oder der »Verbeweglichung«<br />

des Repräsentationsbildes. <strong>Die</strong> Mystik des frühen 14. Jahrhunderts, insbesondere ihre Ausprägung<br />

in Frauenklöstern, entwickelte verschiedene Typen des Andachtsbildes (Pietà, Schmerzensmann, Marienklage,<br />

Christus-Johannes-Gruppe etc.). Seit dem 15. Jahrhundert und verstärkt in der Gegenreformation<br />

wurden kleine Andachtsbilder graphisch (<strong>als</strong> Teil oder Einlage eines Gebetbuches, zur Erinnerung an eine<br />

Wallfahrt, einen Ablass etc.) reproduziert. Neue Motive (Herz-Jesu-Verehrung, Pia Anima, Memento mori)<br />

treten auf.<br />

10 Klein, Dorothee: »Andachtsbild«, in: Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte, Stuttgart 1937, Sp. 681-<br />

687.<br />

11 Berliner, Rudolf: »Arma Christi«, in: Münchener Jahrbuch der bildenden Künste, 3 (1955), S. 53-152, und<br />

»Bemerkungen zu einigen Darstellungen des Erlösers <strong>als</strong> Schmerzensmann«, in: Das Münster 9 (1956), S.<br />

97-117.<br />

12 Aurenhammer, Hans: <strong>Die</strong> Mariengnadenbilder Wiens und Niederösterreichs in der Barockzeit, Diss. Wien<br />

1956<br />

13 Ringbom, Sixten: Icon to narrative: The Rise of Dramatic close-up in fifteenth-century devotional Painting,<br />

Ǻbo 1965 und: »Devotional images and imaginative devotions«, in: Gazette des Beaux-Arts (1969), S. 159-<br />

170.<br />

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