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Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

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VI Der Neustoizismus: Leitphilosophie der Frühen Neuzeit<br />

2 <strong>Die</strong> meditatio mortis im neustoischen Denken<br />

[Überkonfessionelle Ethik des Neustoizismus] Der Erfolg des Neustoizismus bei den früh-<br />

neuzeitlichen Eliten liegt darin begründet, dass er eine überkonfessionelle, inner-<br />

weltliche Ethik formulierte, die im frühneuzeitlichen konfessionellen ›Bürgerkrieg‹<br />

von allen Seiten akzeptiert werden konnte. Es ist für den Jesuitenzögling Lipsius<br />

bezeichnend, dass er kontroverstheologischen Streitfragen keine Beachtung<br />

schenkte und häufig die Konfession wechselnd über das Luthertum und den Kalvi-<br />

nismus zum Katholizismus zurückkehrte. Dass er theologischen und konfessionel-<br />

len Argumenten keine Bedeutungen beimaß, wurde ihm deshalb vor allem von den<br />

Jesuiten vorgehalten. 34 Gerade ihre konfessionelle Unbestimmtheit und Indifferenz<br />

machte die neustoische Ethik aber <strong>als</strong> Leitphilosophie der europäischen Eliten aller<br />

Konfessionen attraktiv. Ihr unterschwelliger Pantheismus und ihre abstrakten<br />

anthropologischen Normen sapientia, constantia und ratio 35 unterliefen gleichsam<br />

die ›offiziellen‹ Bekenntnisse. 36 So ist es nicht überraschend, dass sich bei Lipsius<br />

ganz in der Tradition der antiken Stoa gelegentlich latent pantheistische Wendun-<br />

gen finden: »Nec praeest solum divinitas haec rebus omnibus, sed interest, imo<br />

inest.« 37<br />

Das Hauptwerk des Lipsius, der Dialog De constantia, verdankt seine epo-<br />

chale Wirkung <strong>als</strong> Kompendium für Philosophen, Dramenautoren und Künstler<br />

nicht zuletzt dem Umstand, dass es stoische Philosopheme frühneuzeitlicher Wel-<br />

terfahrung adaptierte und seinen Lesern aktuelle Anknüpfungspunkte und Identifi-<br />

kationsangebote bot. <strong>Die</strong> Editionen und Kommentare des Lipsius aktualisierten die<br />

Grundthesen der stoischen Philosophie in der durch Konfessionsstreitigkeiten ge-<br />

prägten Zeit und entwickelten eine privaten und öffentlichen Bereich zum ersten<br />

34 iIm Vorwort der zweiten Auflage seiner Constantia ging Lipsius auf diesen Vorwurf ein: »Negant satis pie<br />

hoc argumentum a me tractum« (›Sie sagen, dieses Problem sei von mir nicht fromm genug behandelt worden‹).<br />

Als christlicher Philosoph (»Philosophum ego agam, sed Christianum«) trage er seinen Glauben nicht<br />

auf der Zunge, sondern im Herzen (»Sum enim ex iis, quibus pietas in corde magis quam in ore«). (De constantia,<br />

Opera omnia, a.a.O., Bd. 4,2, S. 511-612, hier S. 513) (Verweise auf De constantia werden im Folgenden<br />

nur noch mit Buch- und Kapitelangabe gemacht).<br />

35 »Rationi origo a caelo, imo a deo est: et magnifice eam Seneca celebravit, ›Partem in homine divini spiritus<br />

mersam.‹« (›<strong>Die</strong> ratio hat ihren Ursprung im Himmel, ja in Gott selbst, wie Seneca dies sehr schön sagt, wenn<br />

er sie einen Teil des göttlichen Geistes nennt, der in den Menschen eingegangen ist.‹) (De constantia, I,5)<br />

36 Im Übrigen darf nicht übersehen werden, dass Lipsius nicht nur auf die Stoa, sondern synkretistisch auch<br />

auf aristotelische und platonische Philosopheme zurückgriff, die Lipsius seiner anthropologischen Zielsetzung<br />

dienstbar machte. (Dazu: Beuth, Karl: Weisheit und Geistesstärke, Eine philosophiegeschichtliche Untersuchung<br />

zur ›Constantia‹ des Justus Lipsius, Frankfurt/Main / New York 1990.) So übernahm er die platonische<br />

Trennung von anima und corpus und interpretierte den Tod <strong>als</strong> Loslösung der Seele von ihrer leiblichen Hülle.<br />

Dazu etwa das Anknüpfen an Phaidon (64 b-c) in De constantia II,19 (»Simplex mors. Et ne nomen ipsum te<br />

terreat, animae a corpore abscessus.« [›Der Tod ist etwas Einfaches. Sein Name soll dir keine Angst machen,<br />

er bezeichnet die Trennung der Seele vom Körper‹]).<br />

37 ›Das Göttliche lenkt nicht nur alles, sondern ist an allem beteiligt, wohnt sogar allem inne.‹ (De constantia<br />

I,13)<br />

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