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Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

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VII Posttridentinische Märtyrer und stoische Tugendhelden<br />

vollzogen worden, noch agiert der Scherge heftig mit zwei Krummschwertern; im<br />

Vordergrund liegen unten links auf einem Teller die abgeschnittenen Brüste, eine<br />

<strong>Die</strong>nerin drückt ein Tuch auf die Wunde. Aber auch das bevorstehende Wunder<br />

wird bereits in die Darstellung einbezogen: Petrus erscheint über der Folterszene<br />

in einer Wolke und sichert mit segnender Hand baldige Heilung zu.<br />

Gegenüber dieser älteren Fassung des Themas dramatisiert und reduziert<br />

die Berliner Version das Martyrium. Im Berliner Bild ist Agathe nicht <strong>als</strong> Mädchen,<br />

sondern <strong>als</strong> reife Frau gegeben. 88 Sie erblickt ein brennendes, von einer Dornen-<br />

krone umgebenes Herz, Symbol der Liebe Christi und seines stellvertretenden Lei-<br />

dens. Im 17. Jahrhundert propagierten besonders die Jesuiten die auf die hochmit-<br />

telalterliche Mystik zurückgehende Herz-Jesu-Verehrung. 89 Durch die Vision stellt<br />

der Maler einen Bezug zwischen Märtyrerin und leidendem Christus her.<br />

In der zweiten Fassung sind die gegenreformatorischen Intentionen unüber-<br />

sehbar. Während Tiepolos erste Beschäftigung mit der Märtyrerin noch narrativ<br />

ausgerichtet war und viele konventionelle Elemente der Legende integrierte, redu-<br />

zierte er zwanzig Jahre später die narrativen Strukturen auf ein Minimum und poin-<br />

tierte die Aussage des Andachtsbildes. Der grausame Wendepunkt dieser Heili-<br />

genvita, das Abschneiden der Brüste 90 , steht nunmehr im Mittelpunkt, der Akzent<br />

wird aber auf die Vision der Märtyrerin gelegt. Das Herz Jesu ruft die Erinnerung<br />

an Christi Leiden auf, der visionäre Blick Agathes verbindet ihr Martyrium mit der<br />

Passion Christi, eröffnet dem Betrachter eine »bildgestützte, bildgelenkte und bild-<br />

kontrollierte Meditation« 91 seiner eigenen Rolle und appelliert an den Gläubigen,<br />

sich in eine analoge Gemeinschaft mit Christus zu begeben.<br />

Als Tiepolo 1762 nach Spanien aufbrach, beschrieb er Funktion und Intention sei-<br />

ner Historienmalerei mit den Begriffen »sublime«, »eroico« und »perfezione«. Für<br />

die aristokratische Klientel sind Bildthemen und Bildprogramme mit historischen<br />

und mythologischen Themen der Antike bestimmt, die sich von den Fachleuten<br />

88 Der Künstler fertigte, wie Vorstudien zum Gesicht Agathes im Berliner Kupferstichkabinett zeigen, zunächst<br />

eine Skizze nach dem Modell an, die er dann idealisierte und im Ausdruck expressiver gestaltete (Abbildungen<br />

in: AK Giambattista Tiepolo, a.a.O., S. 238).<br />

89 Papst Clemens XIII. approbierte 1765 Messe und Offizium vom Herzen Jesu.<br />

90 Lang, Walther K.: Grausame Bilder, a.a.O., hat der psychoanalytisch bedenkenswerten Grausamkeit von<br />

Männern gegen eine Frau, die sich im Martyrium der Agathe niederschlägt, ein ganzes Kapitel gewidmet. (Kapitel<br />

5: ›<strong>Die</strong> verstümmelten Brüste: Mann gegen Frau‹). Dort auch noch weitere Bildbeispiele für die bildkünstlerische<br />

Behandlung des Themas (S. 171-228).<br />

91 Burschel, Peter: Sterben und Unsterblichkeit, Zur Kultur des Martyriums in der Frühen Neuzeit, München<br />

2004, S. 288<br />

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