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Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

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Dido: Herrscherin und Liebende<br />

do, qui vault a dire comme virago en latin, qui est a dire celle qui a vertu et force<br />

d'omme. 15<br />

Christine wertet den Selbstmord Didos dadurch moralisch noch weiter auf, dass<br />

die Beständigkeit der Liebe zum ersten Gatten ihre weibliche Tugend bestätigt. 16<br />

Spätestens zu Beginn des 16. Jahrhunderts setzte sich das von der episch-<br />

romanesken Tradition geprägte Bild Didos durch, das vor allem auf Vergils drama-<br />

tischer Ausgestaltung der Liebesgeschichte beruht. Mit dem Drama Dido in Carta-<br />

gine (1524) des Pazzi de' Medici (1483-1530) wurde der Stoff auf die Bühne ge-<br />

bracht, wo er bis weit ins 18. Jahrhundert 17 ein beliebter, verschieden besetzbarer<br />

Vorwurf blieb. <strong>Die</strong> Bühnenbearbeitungen waren für die Ikonographie der Histo-<br />

rienmalerei besonders folgenreich, weil sie dem Konflikt zwischen politischer Ra-<br />

tionalität und weiblicher Affektivität einen neuen Themenbereich eröffneten. In ei-<br />

ner Epoche, in der divergierende Modelle gesellschaftlichen Handelns diskutiert<br />

und erprobt wurden, konnten im Gewand antiker Geschichte paradigmatisch ak-<br />

tuelle Probleme erörtert werden. Da der Dido-Stoff bereits in der Antike <strong>als</strong> Konflikt<br />

zwischen ›Politik und Liebe‹ verstanden worden war, eröffnete er den Dramatikern<br />

und damit der Historienmalerei einen großen Aktualisierungsspielraum. 18<br />

15 Christine de Pizan: La Cité des dames, I, 46: »Sie regierte so vortrefflich und unsichtig, daß die Kunde davon<br />

in alle Länder drang; man sprach von nichts anderem <strong>als</strong> von ihr. Das ging so weit, daß man wegen ihrer<br />

großen Tugend, der Kühnheit und der Vollkommenheit ihres Werks und ihrer äußerst klugen Regierungsweise<br />

ihren Namen umänderte in Dido: das bedeutet soviel wie virago auf lateinisch, will sagen: eine Frau, die die<br />

Tugend und die Kraft eines Mannes besitzt.«<br />

Ich zitiere nach Skemp, Mary (Hrsg.): ›Le Livre de la Cité des Dames‹ de Christine de Pizan: an electronic<br />

transcription, Electronic Text Research Center, University of Minnesota, Minneapolis, MN, 1999<br />

(http://erc.lib.umn.edu/dynaweb/french/pizalaci/@Generic_BookView;lang=fr). <strong>Die</strong> Übersetzung nach Christine<br />

de Pizan: Das Buch von der Stadt der Frauen, hrsg. u. übers. von Margarete Zimmermann, Berlin 2 1987, S.<br />

46. Zu Christines Umdeutung antiker Heroinen vgl. Feichtinger, Barbara: »Antikerezeption mit Ambitionen.<br />

Christine de Pizans Livre de la Cité des Dames und Boccaccios De claris mulieribus«, in: Schmidt, Paul Gerhard<br />

(Hrsg.): <strong>Die</strong> Frau in der Renaissance, Wiesbaden 1994, S. 203-222.<br />

16 »S'en ala, sans congié prendre, de nuit, en recelee, traytreusement, sans le sceu d'elle. Et ainsi paya son<br />

oste, laquelle departie fu si grant douleur a la lasse Dido qui trop amoit que elle voult renoncier a joye et vie.«<br />

(»Ohne von ihr Abschied zu nehmen, schlich er sich des Nachts heimlich und ohne ihr Wissen davon: auf<br />

diese Weise belohnte er seine Gastgeberin. <strong>Die</strong>se Trennung schmerzte die arme Dido, deren Liebe grenzenlos<br />

war, so sehr, daß sie beschloß, von nun an auf jegliche Freude und überhaupt das Leben zu verzichten.«)<br />

(Cité des Dames, II,55)<br />

17 Vgl. S. 278ff.<br />

18 Vgl. Frenzel, Elisabeth: Stoffe der Weltliteratur, Stuttgart 7 1988, S. 150-153; Leube, Eberhard: Fortuna in<br />

Karthago, <strong>Die</strong> Aeneas-Dido-Mythe Vergils in den romanischen Literaturen vom 14. bis zum 16. Jahrhundert,<br />

Heidelberg 1969; Kailuweit, Thomas: Dido Ŕ Didon Ŕ Didone, Eine kommentierte Bibliographie, Frankfurt /<br />

Berlin / Bern 2005.– Im 16. Jahrhundert wurde der Dido-Stoff in allen europäischen Literaturen für das T h e at<br />

e r bearbeitet; zu nennen sind u. a. G. B. Giraldi Cinthio (1541), Ludovico Dolce (1547), Étienne Jodelle:<br />

Didon se sacrifiant (1560 [Erstdrucke 1574,1583 und 1597, kritische Edition von Christine de Buzon / Jean-<br />

Claude Ternaux 2002], Guillaume de La Grange (1582) und Christopher Marlowe (1594), Alexandre Hardy:<br />

Didon se sacrifiant (1603), <strong>Georg</strong>es Scudéry: Didon (1638), François Le Métel de Boisrobert: Didon la Chaste,<br />

ou les amours d'Hyarbas (1642), Jacob Montfleury: Les Amours de Didon et d'Enée, ou l'Ambigu comique<br />

(1673). – Walthaus, Rina: La nieve que arde o abrasa. Dido en Lucretia in het Spaanse drama van de 16de en<br />

17de eeuw, Leiden 1988 (abzurufen unter: http://home.wxs.nl/~pagklein/rina/tesis.html; zuletzt aufgerufen:<br />

08.08.2006) untersucht eine ganze Reihe von Dido- und Lukretia-Dramen im spanischen Theater des 16. und<br />

17. Jahrhunderts: Juan Cirne (Tragedia de los amores de Eneas y de la Reyna Dido), Guillén de Castro (Dido<br />

y Eneas), Guillén de Castro (Dido y Eneas. No ay mal que por bien no venga), Francisco de Villegas (El más<br />

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