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Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

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IX Von der vertu zum Affekt<br />

tutti cedeste alla mia sorte infida:<br />

non v'è chi mi soccorra, o chi m'uccida.<br />

Das ungewöhnlicherweise die Oper abschließende Rezitativ zeigt durch Suchen<br />

nach Worten und durch Abbrechen begonnener Satzstrukturen die verstummende<br />

Heldin, deren Sprachverlust ihr Sterben vorwegnimmt:<br />

Vado ... Ma dove? Oh Dio!<br />

Resto ... Ma poi ... Che fo?<br />

Dunque morir dovrò<br />

senza trovar pietà?<br />

E v'è tanta viltà nel petto mio?<br />

No no, si mora; e l'infedele Enea<br />

abbia nel mio destino<br />

un augurio funesto al suo cammino.<br />

Precipiti Cartago,<br />

arda la reggia; e sia<br />

il cenere di lei la tomba mia.<br />

Vinci hat die letzte Arie zurückhaltend instrumentiert und einen deutlichen Kontrast<br />

zum abschließenden Rezitativ gesetzt, in dem Didone, sich selbst bereits entfrem-<br />

det, in der dritten Person spricht. Didone verstummt, während die letzten Worte im<br />

forte der Instrumente untergehen. Der Sturz der Königin in die brennenden Ruinen<br />

Karthagos verbildlicht in der Oper nurmehr die Selbstaufgabe der Vereinsamten. 51<br />

Wie in einem großen Historiengemälde zeigt das Schlussbild die Königin verlassen<br />

und verzweifelt in großer Geste den Selbstmord suchend.<br />

Von Busenello zu Metastasio hat sich die Struktur der Didone-Libretti vom<br />

breiten historischen Gemälde zum psychologischen Drama verschoben, eine Ent-<br />

wicklung, die sich durchaus mit der Entwicklung des Motivs in der Historienmalerei<br />

vergleichen lässt. Auch in der bildenden Kunst wird zugunsten der Darstellung des<br />

Affekts allmählich, jedenfalls teilweise, auf die historische Staffage verzichtet. In<br />

der Oper wie in der Historienmalerei schwindet langsam der neustoische Hinter-<br />

grund, der das Thema in der Frühen Neuzeit geprägt hatte. 52 Didos Selbstmord gilt<br />

51<br />

So auch Schreiber, Ulrich: Opernführer für Fortgeschrittene, Eine Geschichte des Musiktheaters, Kassel<br />

1988, S. 275.<br />

52<br />

<strong>Die</strong> Dido abbandonata scheint im Übrigen eine interessante Wirkungsgeschichte gehabt zu haben. Am Endes<br />

des 18. Jahrhunderts war sie so populär geworden, dass sie zur Marktunterhaltung im venezianischen<br />

Karneval dienen konnte, wie der weimarische Sänger David Heinrich Grave 1789 berichtet, der mit Unterstützung<br />

der Herzoginmutter zu Studienzwecken nach Venedig gereist war und sich später der Bildungsreise<br />

Anna Amalias anschloss: »Je mehr sich die Fasten näherten, desto glänzender und lustiger wurde die Stadt,<br />

viele tausend Menschen in Maschera erfüllten den Markusplatz, das Meeresufer und die Hauptstraßen.<br />

Nächstdem, dass sieben Theater offen und täglich zum Erdrücken voll waren, sah man noch eine menge Casotti<br />

oder kleine Theater auf dem Markusplatz, darin Seiltänzer, extemporierte Komödien. In Wachs bossierte<br />

anatomische Körper, das tragische Ende der Dido abbandonata mit allen ihren Kammerweibern, Schattenspiele,<br />

künstliche Pferde, Affen und mechanische Kunstwerke.« (<strong>Die</strong> Erinnerungen der Karoline Jagemann, hrsg.<br />

von Eduard von Bamberg, Dresden 1926, S. 176)<br />

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