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Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

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V Römische <strong>Tugendheldin</strong>nen in der Ikonographie der Frühen Neuzeit<br />

sentationsanspruch übernahmen. 35 Dabei können zwei zeitlich aufeinander folgen-<br />

de Typen der halböffentlich aufgestellten Truhen unterschieden werden. 36 Der frü-<br />

here bevorzugt eine u m f ä n g l i c h e B i l d f o l g e , in der die Geschichte Lukretias<br />

wie in einem Leporello von der ›Frauenwette‹ und dem nächtlichen Besuch der<br />

Ehemänner bis zu Lukretias Vergewaltigung und der Vertreibung der römischen<br />

Könige dramatisch entwickelt wird. 37 Wenn die häuslichen Tugenden Lukretias in<br />

den ersten Szenen dieses Typus betont werden, greift dies die Hausbuch-<br />

Literatur 38 der Frührenaissance auf und erinnert die Hausfrau an ihre Aufgaben.<br />

Später setzte sich ein r e d u z i e r t e s P r o g r a m m durch, das meist auf drei Sze-<br />

nen (Vergewaltigung der Lukretia, Geständnis und Selbstmord, Racheschwur der<br />

Verwandten) beschränkt war. Dabei fällt auf, dass allmählich die häuslichen Tu-<br />

genden der Römerin zugunsten einer politischen Interpretation zurücktreten, wäh-<br />

rend beide Aspekte zunächst gleichrangig behandelt worden waren. Dass Lukretia<br />

<strong>als</strong> Emblem weiblicher Tugenden (wie Sparsamkeit, Gastfreundschaft und eheliche<br />

Treue) und <strong>als</strong> Verteidigerin weiblicher pudicitia zu einem cassone-Thema wurde,<br />

überrascht weniger <strong>als</strong> die Akzentuierung republikanischen Selbstbewusstseins<br />

und Anspruchs im späteren ikonographischen Typus.<br />

B i a g i o d i A n t o n i o T u c c i (1446-1516) reduzierte auf zwei Tafeln in<br />

Venedig [Abb. 1] die narrative Abfolge, wobei sich die erste Tafel mit der Belage-<br />

rung von Ardea, der Frauenwette und dem Ritt des Tarquinius auf die männlichen<br />

Akteure zeigt, die zweite die bekannteren Szenen (Vergewaltigung, Selbstmord,<br />

Beisetzung und Racheschwur der Männer) darstellt.<br />

35 H o c h z e i t s t r u h e n (cassoni) sind Ausstattungsgegenstände der Renaissance, von denen heute meist<br />

nur die vorgeblendeten gemalten Schauseiten erhalten sind. Schränke wurden erst im 16. Jahrhundert üblich;<br />

vorher dienten Truhen zur Aufbewahrung von Wäsche, Kleidern und anderen wertvollen Dingen wie Schmuck.<br />

<strong>Die</strong> Hochzeitstruhen wurden anfangs vom Brautvater, später vom Bräutigam in Auftrag gegeben und zum<br />

ersten Mal der Öffentlichkeit gezeigt, wenn die Braut mit der Truhe (in der sich ihre Aussteuer befand) in einem<br />

rituellen Umzug vom Haus ihrer Eltern ins Haus ihres zukünftigen Ehemannes gebracht wurde. Anschließend<br />

wurde die Truhe in der camera, dem offiziellen Schlafzimmer, aufgestellt, welches Repräsentationszwecke<br />

hatte und <strong>als</strong> Empfangsraum für Bekannte und Freunde diente. <strong>Die</strong> dekorative Wirkung der Truhe stand <strong>als</strong>o<br />

ohne Zweifel im Vordergrund, dokumentierte sie doch Rang und Wohlstand der Braut. Bettina Uppenkamp<br />

(http://www2.hu-berlin.de/ffz/dld/bettinauppenkamp.pdf; letzter Aufruf am 25.10.2006) sieht in der vorwiegend<br />

repräsentativen Bedeutung des cassone auch den Grund dafür, dass die bereits übliche Zentralperspektive auf<br />

den meisten Hochzeitstruhen noch keine Anwendung fand; es kam wohl auf den reichen Gesamteindruck an,<br />

den das »Kompositmedium« durch Schnitzereien, Vergoldungen und Stuckdekor zustande brachte und der<br />

den Rang der Familie materiell verkörperte. Graham Hughes (Renaissance Cassoni, Masterpieces of Early<br />

Italian Art: Painted Marriage Chests 1400-1550, London 1997) hat nach der verdienstvollen, aber inzwischen<br />

überholten Arbeit von Paul Schubring aus dem Jahre 1923 in jüngerer Zeit cassoni wieder untersucht und in<br />

Übersicht zusammengestellt.<br />

36 Vgl. Follak, a.a.O., S. 65ff.<br />

37 Schubring, a.a.O., schreibt einzelne Truhenbilder zum Beispiel Guidoccio Cozzarelli (Tafel CXI, Nr. 468),<br />

Niccolò Gilfino (Tafel CLII, Nr. 695), Sandro Botticelli (Tafel LXXII, Nr. 304) und Filippino Lippi (Tafel LXXVII,<br />

Nr. 321) zu, kann aber in vielen Fällen nur eine regionale Zuordnung vornehmen (so zum Beispiel: Tafel III, Nr.<br />

21 <strong>als</strong> »florentinisch«, Tafel CXXXVIII, Nr. 644 <strong>als</strong> »veronesisch« oder Tafel CLIV, Nr. 727 <strong>als</strong> »mailändisch«).<br />

38 Vgl. S. 122.<br />

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