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Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

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IV Liebe, Patriotismus und Selbstbestimmung: Sophonisbe <strong>als</strong> <strong>Tugendheldin</strong><br />

Ikonographie der Historienmalerei<br />

Christian Tümpel vertritt die Auffassung, die Sophonisbe-Ikonographie des Barock<br />

sei durch Buchillustrationen und Graphik der Frühen Neuzeit geprägt. 133 Träfe sei-<br />

ne These zu, müsste allerdings auch in der Historienmalerei das Trinken des Gift-<br />

bechers im Mittelpunkt stehen; gerade dies ist aber nicht der Fall. 134 Wahrschein-<br />

lich ist der Einfluss der Bühnenbearbeitungen des Sophonisbe-Stoffes für die Iko-<br />

nographie entscheidender. <strong>Die</strong>sen folgend wählten die Historienmaler des 17. und<br />

18. Jahrhunderts ihren Vorwurf und das punctum temporis der Bilddramaturgie: oft<br />

die Szene 135 , in der Sophonisbe durch einen Boten die Nachricht Massinissas und<br />

den Giftbecher erhält, oder – noch häufiger – eine Audienzszene, in der die afrika-<br />

nische Königin dem Boten ruhig Gehör schenkt. Dabei kann Sophonisbe <strong>als</strong> ein-<br />

same Heroine oder <strong>als</strong> Regentin mit Hofstaat dargestellt werden. Ausnahmsweise<br />

findet sich auch eine Sterbeszene. 136 Im Gegensatz zur frühen Graphik tritt das<br />

Trinken des Giftbechers nicht mehr auf.<br />

<strong>Die</strong> Historienmalerei hat zwei Grundtypen der Darstellung Sophonisbes entwickelt:<br />

einerseits die i s o l i e r t e ganzfigurige oder halbfigurige Darstellung der afrikani-<br />

schen Königin, andererseits die s z e n i s c h e Umsetzung einer Episode aus der<br />

Geschichte Sophonisbes.<br />

In der um 1642 von Nicolas Prévost (1604-1670) ausgeführten Serie 137<br />

›starker Frauen‹, die eine Wand des Schlosses Richelieu paneelenartig dekorierte,<br />

erscheint Sophonisbe [Abb. 11] – wie die sechs anderen <strong>Tugendheldin</strong>nen stehend<br />

133 A.a.O., S. 205.<br />

134 In der Sammlung Chigi-Saraceni findet sich ein möglicher Übergang. Auf den Gemälden des Maître des<br />

heroïnes de Chigi-Saraceni und Beccafumis wird der (nicht mehr getrunkene) Giftbecher bereits zum Attribut<br />

(vgl. unten, S. 242ff.).<br />

135 Tümpel verwendet für diesen Bildtypus den nicht recht geeigneten Begriff »Erkenntnisszene«.<br />

136 Tümpels These, das »Zueinander von Literatur [gemeint ist Livius] und bildender Kunst« müsse neu beschrieben<br />

werden (a.a.O., S. 218), hat ihm den Blick für Veränderungen des ikonologischen Codes zwischen<br />

dem 16. und 17. Jahrhundert verstellt. Das Hauptinteresse seiner Abhandlung ist es, die Darstellungen der<br />

Artemisia und der Sophonisbe durch ihre Attribute und ikonologischen Codes zu unterscheiden. Dabei verlor<br />

Tümpel aus dem Blick, dass in der Graphik des 15. und 16. Jahrhunderts Sophonisbe emblematisch mit dem<br />

Trinken des Gifts dargestellt wurde, während den Historienmalern des 17. und 18. Jahrhunderts eine weitaus<br />

größere Bandbreite an Darstellungsmöglichkeiten zur Verfügung stand. <strong>Die</strong> literarische Entwicklung des Stoffes<br />

auf der Bühne (und später <strong>als</strong> Opernsujet) hatte eine facettenreiche Figur und eine differenzierte Konfliktpalette<br />

herausgebildet. <strong>Die</strong> Darstellung des historischen Stoffes auf der Bühne hat den ikonologischen Code in<br />

viel stärkerem Maße beeinflusst, <strong>als</strong> dies die Graphik der beginnenden Neuzeit vermochte. Es bleibt allerdings<br />

auffallend, dass die interessante Invention der Bühne, Sophonisbe <strong>als</strong> Mutter von einem oder mehreren kleinen<br />

Kindern auftreten zu lassen und so Emotionen und Mitleid der Rezipienten stark zu schüren, nach meiner<br />

Kenntnis im Historiengemälde nur zweimal, von Manetti und Crosato, aufgegriffen wurde (vgl. unten, S. 97f.).<br />

137 Vgl. unten S. 173ff. Zu der Serie gehörten Kleopatra, Judith, Artemisia, Dido, Thomyris, die Frau des Hasdrubal<br />

und Sophonisbe. Vgl. Richard-Jamet, Céline: »Cléopâtre: femme forte ou femme fatale, une place équivoque<br />

dans les galeries de femmes fortes aux XVI e et XVII e siècles«, in: AK Cléopâtre dans le miroir del’art<br />

occidental, a.a.O., S. 37-52, hier S. 42. Außerdem Schloder, M. John E.: »Un artiste oublié, Nicolas Prévost,<br />

peintre de Richelieu«, in: Bulletin de la Société de l’histoire de l’art français, (1980), Paris 1982, 59-69.<br />

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