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Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

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VI Der Neustoizismus: Leitphilosophie der Frühen Neuzeit<br />

1 Heroische Tugend und Neustoizismus<br />

Der neustoische Hintergrund des Bildmotivs der <strong>Selbstmörderin</strong> <strong>als</strong> <strong>Tugendheldin</strong><br />

ist unübersehbar. Zwar veränderte die bemerkenswerte Erweiterung des Kanons<br />

bildwürdiger Themen aus Mythos, Geschichte und Religion 1 in der Frühen Neuzeit<br />

auch die Ikonographie tugendhaften Sterbens, gleichwohl wäre die Darstellung des<br />

Selbstmords <strong>als</strong> moralische Handlung ohne die neustoische Leitphilosophie, die oft<br />

nur eine vielseitig einsetzbare Leitrhetorik geblieben sein mag, unter den Voraus-<br />

setzungen des entstehenden konfessionellen Zeitalters gänzlich unverständlich.<br />

<strong>Die</strong>s gilt aber auch für das signifikante Nebeneinander von religiösen und profanen<br />

Todesdarstellungen, von Märtyrern und Tugendhelden, das für die frühneuzeitliche<br />

Bühne und bildende Kunst charakteristisch ist. <strong>Die</strong> zumindest theatralische und<br />

ikonographische Vergleichbarkeit des freiwilligen Todes der Märtyrer und des mo-<br />

ralisch motivierten Selbstmords der Tugendhelden zeigt, dass selbst für das Ver-<br />

ständnis der kirchlichen Kunst der Hinweis auf ihre Funktionalisierung in der durch<br />

das Konzil von Trient ausgelösten katholischen Reform allein nicht ausreicht.<br />

Zwar ist der Einfluss der tridentinischen Dekrete 2 und der sich daraus ablei-<br />

tenden neuen Frömmigkeitsformen auf die kirchliche Malerei unbestreitbar, werden<br />

doch die in der Zeit der katholischen Reform auffällig zunehmenden Heiligen- und<br />

Märtyrerbilder manchmal geradezu skrupellos der posttridentinischen propaganda<br />

fidei nutzbar gemacht. Ein dieser »Kultur des Martyriums« 3 durchaus vergleichba-<br />

1 Vgl. oben S. 45ff.<br />

2 Vgl. unten S. 204ff.<br />

3 Im Rahmen des inzwischen abgeschlossenen Freiburger Sonderforschungsbereichs »Identitäten und Alteritäten,<br />

<strong>Die</strong> Funktion von Alterität für die Konstitution und Konstruktion von Identität« (SFB 541) beschäftigte<br />

sich eine Gruppe (Projekt B 7) mit der Fragestellung »Sterben und Unsterblichkeit, Zur Kultur des Martyriums<br />

in der frühen Neuzeit« (http://www.phil.uni-freiburg.de/SFB541/B7 [zuletzt aufgerufen: 14.01.2007]). <strong>Die</strong> Arbeitsgruppe<br />

untersuchte unter kulturanthropologischen Gesichtspunkten frühneuzeitliche Märtyrer-Kulte und<br />

berührt deshalb eine meiner Fragestellung verwandte Thematik. <strong>Die</strong> Freiburger Studien rekonstruieren die<br />

kollektiven Selbstentwürfe, die sich in solchen »kollektiven« oder »kollektivierten Toten« manifestiert. So wurden<br />

Einblicke in die Genese und Entwicklung konfessioneller Kulturen gewonnen und Funktionen und Profile<br />

dieser Kulturen freigelegt. In (erst teilweise veröffentlichten) Einzeluntersuchungen wurden Martyriumskonzeptionen<br />

und Heiligkeitsmodelle dargestellt, Medien und Formen der Darstellung, Verbreitung und Rezeption<br />

heroischer Todesinszenierungen bestimmt, Märtyrerkulte und ihre Katechese analysiert, aber auch individuelle<br />

und kollektive Erfahrungen, Wahrnehmungen und Deutungsmuster religiös bestimmter Gewalt entziffert. Da<br />

das Projekt historisch und kulturanthropologisch ausgerichtet war, berührte es kunsthistorische Fragestellungen<br />

nur am Rande. Verwiesen sei vor allem auf die im Rahmen dieses Projekts entstandenen Untersuchungen<br />

von Burschel, Peter: »Männliche Tode – weibliche Tode. Zur Anthropologie des Martyriums in der frühen Neu-<br />

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