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Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

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IX Von der vertu zum Affekt<br />

Als Untreu, Gram, und blut’gen Tod. 94<br />

Im Gegensatz zu Meißners Sophonisbe arbeitet das Duodrama nicht mit der »inne-<br />

ren Fallhöhe« 95 der Protagonistin. Dido ist bereits im ersten Auftritt zu Verzicht und<br />

Selbstmord entschlossen und zeigt noch so viel Besonnenheit, ihrer Schwester<br />

und ihrer Umgebung den bevorstehenden Selbstmord zu verheimlichen. Das recht<br />

inhaltsleere Duodrama hat wohl eine bissige Satire Heinrich von Gemmingens pro-<br />

voziert, die auf ihre Weise die nurmehr melodramatischen Absichten dieser späten<br />

Auftritte der <strong>Tugendheldin</strong> hervorhebt. 96<br />

M o n o d r a m en reduzieren den tragischen Konflikt subjektiver und objektiver<br />

Normen im Antagonismus von Politik und Liebe, der das Interesse der Frühen<br />

Neuzeit an den <strong>Tugendheldin</strong>nen geweckt hatte, noch weitergehender auf den<br />

Ausdruck subjektiver Affekte, <strong>als</strong> dies bereits in den stazioni sentimentali 97 der<br />

O p e r und den Halbfigurenbildern der H i s t o r i e n m a l e r e i der Fall war. <strong>Die</strong> Häu-<br />

fung wechselnder extremer Affekte in einer einzigen Szenenfolge wirkt heute eini-<br />

germaßen angestrengt, auch wenn sie auf moderne Psychodramen vorausweisen<br />

mag. Der zugrunde liegende Konflikt findet kein eigenes Interesse mehr; dieses<br />

wendet sich vielmehr ganz dem gestischen und mimischen Potential der Schau-<br />

spielerinnen zu, das den phrasenhaften und konventionalisierten Text erst zum<br />

Sprechen bringen konnte. Gerade darin dürfte der Reiz der modischen Monodra-<br />

men, Melodramen und Duodramen am Ende des 18. Jahrhunderts bestanden ha-<br />

ben. Gleichwohl sollte das Monodrama nicht <strong>als</strong> lyrischer Torso eines Trauer-<br />

spiels 98 abgewertet werden. An die Stelle eines klaren Wertedilemmas und weni-<br />

ger, aber starker Affekte, wie sie das frühneuzeitliche Theater verbindlich waren,<br />

ist im Monodrama eine Affektkonfusion getreten, die zusammen mit den (oft nicht<br />

94 Goué, a.a.O., S. 30.<br />

95 Schimpf, a.a.O., S. 110.<br />

96 <strong>Die</strong> Satire Dido erschien anonym in der Litteratur- und Theaterzeitung, 32 (1780), S. 497-510. Im ersten Teil<br />

werden die Verhandlungen zwischen dem Dichter und einem Grafen auf die Bühne gebracht, der »eine Komödie,<br />

wo man weint«, in Auftrag gibt. Da das Stück nicht viel kosten soll, schlägt der Dichter ein »Monodram«<br />

vor. Seine Frau wird die Hauptrolle übernehmen, der Schulmeister kann den musikalischen Part übernehmen<br />

(»Ja wohl. Wie ich mit dem gnädigen Herrn in der Stadt war, wo ich immer den Kammerdiener vorstelle, da<br />

hab ich’ s wohl gesehen. Alle zwey oder drey Worte wird dazu gegeigt.« [S. 503]) Ein Chor aus vier Sängern<br />

genügt. Zu Didos erstem Auftritt heißt die Anmerkung für den Musiker: »Anmerkung für den Tonkünstler. <strong>Die</strong><br />

Musik muß in dem Ton geschrieben seyn, wie es der Dichter im Prolog verlangte; und bey jedem Gedankenstrich<br />

muß die Musik einfallen.« (S. 505) Dido hat drei affektgeladene Auftritte und legt besonderen Wert auf<br />

Stottern und Stammeln. (»Wirst begreifen, lieber Leser, daß die Rolle der Dido zum Schreyen eingerichtet ist.<br />

Ein Hauptverdienst im Melodram.«) Der Chor versucht am Ende, Dido vor dem Selbstmord zu bewahren. Allerdings<br />

ersticht sie »in Wuth« ihre Helfer und dann sich selbst, um mit einem Sprung ins Feuer zu enden. »Ein<br />

großes Ballet beginnt, in welchem die vier todtgestochenen aufstehn, und gar niedlich mittanzen.« (S. 510) <strong>Die</strong><br />

satirischen Überzeichnungen charakterisieren die melodramatischen Verfahren.<br />

97 Vgl. S. 282.<br />

98 So bei Schimpf, a.a.O., S. 64-67.<br />

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