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Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

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VI Der Neustoizismus: Leitphilosophie der Frühen Neuzeit<br />

Als am Ende der Tragödie die necessitas zunimmt und die Handelnden in Angst<br />

und Furcht stürzt, wird der letzte Rettungsanker für den Stoiker deutlich, den zu<br />

ergreifen nicht in jeder Lebenslage nötig, den sich jedoch vor Augen zu halten, in-<br />

nere Freiheit zurückgibt. In diesem Sinne sagt Sophonisbe:<br />

Der Tod ist ein Geschenck' in solchen Freyheits-Nöthen. 99<br />

Wenig später in der gleichen Szene hat sich die Heldin schon so gefasst, dass sie<br />

ihren Hofstaat ermuntern kann:<br />

[...] Nichts / <strong>als</strong> der Tod nur kann<br />

Der Freyheits-Ancker sein / des Elends Hafen werden.<br />

Spar't / liebsten Freinde spart die ängstigen Gebehrden.<br />

Ein steiler Felß und Geist weicht Sturm und Glücke nicht.<br />

<strong>Die</strong> Eiche trotzt den Wind / der weiche Pappeln bricht. 100<br />

Sie reicht auch ihren Söhnen den Gifttrank:<br />

Recht so! wer hertzhaft stirbt / lacht Feinde / Glück und Zeit;<br />

Verwechselt Ruh und Ruhm mit Angst und Eitelkeit. 101<br />

4 Neustoisches Meditationsbild und nachtridentinisches Andachtsbild<br />

[exemplum und Andachtsbild] <strong>Die</strong> Ikonographie der <strong>Selbstmörderin</strong> <strong>als</strong> <strong>Tugendheldin</strong><br />

setzt bekanntlich das frühneuzeitliche Historiendrama voraus, in dem Sophonisbe<br />

und Lukretia, Dido und Kleopatra, aber auch Porzia häufig auftreten. 102 <strong>Die</strong> bilden-<br />

de Kunst übernahm das Thema und stellte meist den ›letzten Augenblick‹ dar, der<br />

– wie die ultima vox auf der Bühne – dem Betrachter das Vorbild eines exemplari-<br />

schen Sterbens vermittelte. Während die Andachtsbilder der kirchlichen Kunst 103 in<br />

der öffentlichen und privaten Frömmigkeitspraxis den frommen Betrachter auf sei-<br />

ne persönliche Lebensführung und kommende Bewährung in der Todesstunde<br />

aufmerksam machten, sind Funktion und Wirkungsstrategie profaner Sterbebilder<br />

in der Frühen Neuzeit, von ihrer unmittelbar politischen Rolle einmal abgesehen,<br />

schwerer zu bestimmen, obwohl die ikonographischen Parallelen in der Darstel-<br />

lung von Märtyrern und Tugendhelden auf der Hand liegen. 104 Gerade einfigurige<br />

99 V, 358.<br />

100 V, 400-404.<br />

101 V, 479-480.<br />

102 Das Bildmotiv der starken Frauen geht in allen Fällen auf die frühneuzeitliche Bühne zurück. Dazu oben S.<br />

68ff. (Sophonisbe), S. 107ff. (Dido), S. 122ff. (Lukretia), S. 142ff. (Kleopatra), S. 168ff. (Porzia).<br />

103 Vgl. unten S. 207ff.<br />

104 Vgl. unten S. 204. – Freilich gewährt der philosophische Tod des Stoikers nur das Weiterleben im Nachruhm,<br />

während die Seele zur überindividuellen göttlichen Substanz (pneuma) zurückkehrt. Ambrosius musste<br />

deshalb das antike Sterbeformular des exitus illustrium virorum umdeuten und das testimonium vitae <strong>als</strong> testimonium<br />

fidei interpretieren. »Mors igitur solutio est animae et corporis.« (›Der Tod ist <strong>als</strong>o die Trennung von<br />

Seele und Körper.‹) (De bono mortis III, 8); »Opus est ut constanter transeas. Transitus autem a corruptione<br />

ad incorruptionem, a mortalitate ad immortalitatem, a perturbatione ad tranquillitatem. Non igitur nomen te<br />

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