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Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

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IX Von der vertu zum Affekt<br />

dem sich <strong>Die</strong>nerin und Bote entfernt haben, Massinissas Brief und ist sofort entschlossen,<br />

das Gift zu trinken; doch will sie zuvor noch den Göttern ein Opfer bringen.<br />

Sophonisbe betritt den Tempel; ein Chor von Priestern leitet die Opferhandlungen<br />

ein. In der letzten Szene trinkt Sophonisbe, allein auf der Bühne, das Gift,<br />

verflucht die Römer und dankt ihrem ›Retter‹ Massinissa, weil er das Gift <strong>als</strong> »Becher<br />

der Freyheit« gesandt hat. Das Abschlusstableau zeigt die Sterbende am Altar<br />

hingesunken.<br />

Der zunächst <strong>als</strong> Grund der erneuten Heirat Sophonisbes beschworene karthagi-<br />

sche Patriotismus tritt rasch in den Hintergrund. <strong>Die</strong> Hälfte der Szenen sind großen<br />

Deklamationen der Königin gewidmet, die ständig radikale Gefühlsumschwünge<br />

erlebt: in kürzester Zeit müssen Hochzeitsfreude, Verzweiflung, Reflexionen über<br />

den Selbstmord und der Selbstmord selbst glaubhaft in Szene gesetzt werden. <strong>Die</strong><br />

wie in allen Monodramen extrem rhetorische Sprache der Protagonistin häuft Para-<br />

taxen, Anadiplosen, Anakoluthe, Aposiopesen und Interjektionen, um das ge-<br />

wünschte Pathos zu erreichen. Es bedurfte gewiss nachhaltigen schauspieleri-<br />

schen Talents, um die Szenenfolge nicht ins Triviale absinken und in expressiver<br />

Gestik und Mimik ertrinken zu lassen. 81 Christian Gottlob Neefe lässt die musikali-<br />

sche Begleitung mit häufigen und differenzierten Wechsel der Tempo- und Affekt-<br />

vorschriften die rasch wechselnden Stimmungen unterstützen. 82 Auch das von<br />

<strong>Georg</strong> Benda, dem erfolgreichsten Vertoner von Monodramen, etablierte rhythmi-<br />

sche Sprechen zur Musik (παρακαταλογή) findet sich bereits bei Meißner, bis hin<br />

zu einer ›Sprecharie‹ in da-capo-Form. 83<br />

Leopold Neumann hat sein recht dürftiges Duodrama Cleopatra 84 in zehn<br />

Auftritte gegliedert, wobei Monologszenen mit dialogischen alternieren.<br />

Kleopatra befindet sich bereits im Gefängnis, das sie <strong>als</strong> locus terribilis schildert. 85<br />

Octavian sucht die ägyptische Königin auf und malt ihr den bevorstehenden römi-<br />

81 <strong>Die</strong> schwülstige Rhetorik (vgl. Schimpf, a.a.O., S. 165-171) und die Monotonie der stets tödlich endenden<br />

Monodramen lösten offensichtlich beim Publikum große Begeisterung aus, provozierten aber auch kritische<br />

Einwände. So urteilte zum Beispiel Johann Carl Wetzel scharf über ein Ariadne-Monodrama: »Ariadne kam mir<br />

[...] wie ein Epigramm vor, worinne ihr Sturz in das Meer von Pflaumenfedern [sic!] die Pointe ist: je tiefer ich in<br />

den Monolog hineingerieth, je mehr fühlte ich die Unbehaglichkeit, die mich sehr stark übernehmen würde,<br />

wenn mir jemand ein Epigramm von zwo Oktavseiten vorläse, und ein dritter so viele Erläuterungen und Ausbildungen<br />

den einzelnen Ideen dazwischen schwatzte, daß ich die Spitze erst in einer halben Stunde erführe<br />

... Immer dachte ich – aber, beym Himmel! So schweig doch, Orchester! Daß sie endlich einmal sterben<br />

kann!« (Wetzel, Johann Carl: Zelmor und Ermide, Ein musikalisches Schauspiel, in: Wetzel, Johann Carl:<br />

Lustspiele, Bd. 2, Leipzig 1779, S. 2f.)<br />

82 Küster (a.a.O., S. 243-245) zählt in den etwas weniger <strong>als</strong> 900 Takten 78 Tempiwechsel.<br />

83 Zu Benda vgl. Schimpf, a.a.O., S. 268. Genaueres zu den Takten 506-551 bei Küster, a.a.O., S. 246f.<br />

84 Neumann, Leopold: Cleopatra, ein Duodrama, Mannheim 1780 (Beiträge zur Pfälzischen Schaubühne); die<br />

Musik komponierte Franz Danzi. Das Stück wurde 1780 mehrfach am Mannheimer Hoftheater gegeben; weitere<br />

Aufführungen für Hamburg und Regensburg sind nachgewiesen (vgl. Schimpf, a.a.O., S. 210). – <strong>Die</strong> genauen<br />

Lebensdaten Neumanns konnte ich nicht ermitteln.<br />

85 Neumann, a.a.O., S. 4: »Sey mir willkommen grauenvolle Einsamkeit! – Vorhof des Todes! – Schreckenvolle<br />

Höhle der nagenden Reue, wo sonst Verbrecher, von mir verurtheilt, dem Tode entgegen schauderten […] Du<br />

bist schrecklich, Ort meiner Sicherheit […].«<br />

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