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Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

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VII Posttridentinische Märtyrer und stoische Tugendhelden<br />

nehmen. 14 Weil sich die Untersuchung von Frank O. Büttner 15 auf das Mittelalter<br />

beschränkt, interessiert sie sich nicht für durch das Andachtsbild ausgelöste psychologische<br />

Mechanismen der imitatio, sondern für Bildinhalte, deren Gestaltung<br />

oder Umgestaltung den Betrachter zu Frömmigkeitsübungen anleiten und sich an<br />

der ins Bild gesetzten pietas orientieren. Hans Belting verbindet ikonographische,<br />

formanalytische und funktionsgeschichtliche Methoden mit der Begrifflichkeit der<br />

Semiotik und Semantik. 16 Er fasst Andacht <strong>als</strong> »Stil affektiver Religiosität« auf, »der<br />

vor Bildern einen analogen Stil der Betrachtung ins Leben rief« (S. 77). Ein Andachtsbild<br />

will »mit visuellen Mitteln deklamieren und an die Gefühle des Betrachters<br />

appellieren«; es erzeugt im Betrachter eine Stimmung, ermöglicht es aber zugleich<br />

dem Betrachter seine eigene Stimmungslage im Bild wiederzufinden (S. 98).<br />

<strong>Die</strong>ses funktionale Verständnis des Andachtsbilds lässt verschiedenste Typen, Motive<br />

und Ausgestaltungen zu und trägt auch dem Umstand Rechnung, dass Bilder<br />

ihren Status <strong>als</strong> Andachtsbilder wieder verlieren können, wenn sich neue Andachtsformen<br />

und -motive entwickeln, so wie unter anderen Vorzeichen konzipierte Bilder<br />

den Status von Andachtsbildern erhalten. 17<br />

<strong>Die</strong> ikonographische Nähe kirchlicher und neustoischer Andachts- oder Meditati-<br />

onsbilder entging bereits den zeitgenössischen Theoretikern nicht. So überrascht<br />

es nicht, wenn sich die in Kunsttraktaten der Epoche beschriebenen Wirkungsstra-<br />

tegien auf Historien- wie auf Andachtsbilder beziehen lassen. Der spanische Maler<br />

und Kunsttheoretiker Francisco Pacheco (1564-1644) etwa, der sich intensiv mit<br />

der Kunsttheorie der Antike und des Cinquecento auseinandergesetzt hat, entwi-<br />

ckelte in seinem 1649 in Sevilla veröffentlichten Traktat Arte de la pintura 18 eine<br />

ikonographische Rhetorik, deren moralische Absichten sich über den Bereich der<br />

religiösen Malerei hinaus auch auf die Historienmalerei anwenden lassen:<br />

No se puede cabalmente declarar el fruto que de las imágines se recibe:<br />

amaestrando el entendimiento, moviendo la voluntad, refrescando la memoria de<br />

las cosas divinas; produciendo juntamente en nuestros ánimos los mayores y más<br />

eficaces efectos que se pueden sentir de alguna cosa en el mundo; representándose<br />

a nuestros ojos y, a la par, i m p r i m i e n d o e n n u e s t r o c o r a z ó n a ct<br />

o s h e r ó i c o s y m a g n á n i m o s , ora de paciencia, ora de justicia, ora de castidad,<br />

mansedumbre, misericordia y desprecio del mundo. De tal manera que, en<br />

un instante, causa en nosotros d e s e o d e l a v i r t u d , a b o r r e c i m i e n t o d e l<br />

v i c i o , que son los caminos principales que conducen a la bienaventuranza. 19<br />

14 Appuhn, Horst: »Das private Andachtsbild: Ein Vorschlag zur kunstgeschichtlichen und volkskundlichen<br />

Terminologie«, in: Museum und Kulturgeschichte: Festschrift Wilhelm Hansen, Münster 1978, S. 289-292, und<br />

Einführung in die Ikonographie der mittelalterlichen Kunst in Deutschland, Darmstadt 1969.<br />

15 Büttner, Frank O.: ›Imitatio pietatis‹, Motive der christlichen Ikonographie <strong>als</strong> Modelle der Verähnlichung,<br />

Berlin 1983.<br />

16 Belting, Hans: Das Bild und sein Publikum im Mittelalter, Berlin 1981.<br />

17 Neuere Arbeiten beschäftigen sich mit Detailfragen: z. B. Kecks, Ronald: Madonna und Kind: das häusliche<br />

Andachtsbild im Florenz des 15. Jahrhunderts, Frankfurt 1988; Bertling, Claudia: <strong>Die</strong> Darstellung der Kreuzabnahme<br />

und der Beweinung Christi in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, Hildesheim 1992; Slenczka, Ruth:<br />

Lehrhafte Bildtafeln in spätmittelalterlichen Kirchen, Köln 1998; Beer, Manuela: Das kleine Andachtsbild: Graphik<br />

vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, Hildesheim 2004.<br />

18 Vgl. Hellwig, Karin: <strong>Die</strong> Anfänge der Kunstgeschichtsschreibung in Spanien im 17. Jahrhundert, Diss. phil.<br />

FU Berlin 1995, v.a. S. 180ff.<br />

19 ›Es ist müßig, all den Gewinn, den uns die Bilder bringen, aufzuzählen: Sie schärfen unseren Verstand, sie<br />

stärken unseren Willen, sie frischen unser Gedächtnis für die göttlichen Dinge auf; sie bewirken, alles in allem,<br />

in unseren Seelen die edelsten und stärksten Gefühle, die man für die Dinge dieser Welt haben kann, indem<br />

sie uns die heldenhaften und großmütigen Taten, sei es der Geduld, sei es der Keuschheit, der Sanftmut, der<br />

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