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Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

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X Exempla virtutis<br />

Bezugspunkte: die »Konzeptbildung« 21 der Literaten und Künstlern kann in Konflikt<br />

mit den Intentionen der Auftraggeber treten.<br />

Nur wenn sie in den historischen Kontext eingeordnet wird, geht die Bezeichnung<br />

eines Bildvorwurfs <strong>als</strong> exemplum virtutis über die bloße Benennung eines rhetori-<br />

schen Verfahrens hinaus. <strong>Die</strong> Vorbildlichkeit einer Figur oder einer Szene be-<br />

stimmt sich in der Übereinstimmung oder Abweichung vom Normen- und Werte-<br />

system der mémoire collective: <strong>Die</strong> magnanimitas etwa, die <strong>als</strong> exemplarische Tu-<br />

gend dem verbreiteten Bildmotiv des ›Großmuts des Scipio‹ zugrunde liegt, erfuhr<br />

in der Neuzeit eine ausdifferenzierte Deutung, die sich sowohl am politischen Kal-<br />

kül des Fürsten wie an seiner moralischen Identität orientieren konnte. Im frühneu-<br />

zeitlichen absolutistischen Staat konnte das exemplum virtutis wie bereits in der<br />

Antike moralische wie politische Funktionen übernehmen.<br />

So kann vorbildliches Handeln seit der Frühen Neuzeit zunehmend konkur-<br />

rierend privaten oder öffentlichen Charakter haben. <strong>Die</strong> Bühne der Neuzeit, etwa in<br />

ihrer französischen Ausprägung bei Corneille, liefert hinreichend Beispiele für<br />

Konflikte des Tugendhelden in der Spannung und im Widerspruch zwischen öffent-<br />

lichen Standesnormen und neuen, fast schon privaten Normen der Individualität.<br />

Bildmotive aus dem Bereich der <strong>Tugendheldin</strong> <strong>als</strong> <strong>Selbstmörderin</strong> spiegeln die<br />

gleiche Entwicklung im Historiengemälde, wenn zum Beispiel Kleopatra <strong>als</strong> Fürstin<br />

oder <strong>als</strong> Liebende (oder im Konflikt zwischen beiden Rollen) dargestellt wird.<br />

Besonders bedenklich ist der hermeneutisch unreflektierte Einsatz des<br />

Begriffs exemplum virtutis in historischen Übergangszeiten. Seine Verwendung in<br />

der Kunstgeschichte des Historienbildes verlangt in jedem Einzelfall synchrone und<br />

diachrone Perspektivierungen des Motivs, soll nicht unter einem gefälligen Topos<br />

das jeweils Spezifische des künstlerischen Vorwurfs verschüttet und verdeckt wer-<br />

den. Synchron ist das exemplum in die Wertvorstellungen einer Gruppe oder einer<br />

Gesellschaft einzuordnen; diachron die Entwicklung und Veränderung eines Tu-<br />

gendkonzepts, einer Handlungsnorm nachzuzeichnen. Es ist bemerkenswert, dass<br />

das exemplum virtutis in den Bildkünsten vor allem in der Übergangszeit eingesetzt<br />

wurde, in der sich allmählich aus den noch ständisch geprägten Gesellschaften<br />

neuzeitliche Staatskonzeptionen und die ersten Normen der Individualität entwi-<br />

ckelten.<br />

21 Ich übernehme den Begriff von Lachmann, Renate (Hrsg.): Memoria, München 1993 (Poetik und Hermeneu-<br />

tik 15), S. XXV.<br />

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