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Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

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VII Posttridentinische Märtyrer und stoische Tugendhelden<br />

lassen. Auch wenn sich die imitatio pietatis 113 , zu der die Darstellung der Heiligen<br />

aufruft, nicht einfach auf die Darstellung profaner <strong>Tugendheldin</strong>nen wie Kleopatra<br />

übertragen lässt, verweisen gleichwohl die gemeinsamen Bildmittel auf ein – je-<br />

denfalls aus postmoderner Sicht – gemeinsames moralisches Substrat, das sich im<br />

frühneuzeitlichen Tugendbegriff <strong>als</strong> frühe Form moralischer Selbstbehauptung arti-<br />

kuliert. Nur so ist zu erklären, warum der Selbstmord der <strong>Tugendheldin</strong>nen mora-<br />

lisch gleichsam neutralisiert wurde.<br />

<strong>Die</strong> Nähe der ikonographischen Mittel sollte allerdings nicht darüber hinweg-<br />

täuschen, dass die profane Variante der heroischen Tugend bereits im 17. Jahr-<br />

hundert im Ansatz vorwegnahm, was später den ›tugendhaften‹ Selbstmord zur<br />

radik<strong>als</strong>ten Form moralischer Selbstbehauptung werden ließ. Aus dem von Rubens<br />

zur neustoischen Ikone gestalteten philosophischen Märtyrer, dessen Vorbildlich-<br />

keit im tugendhaften Ertragen staatlicher Willkür liegt, wurde der profane Tugend-<br />

held, dessen moralische Selbstbehauptung im Selbstmord gipfelt. 114 Allmählich<br />

verblasste die ursprüngliche Nähe zur posttridentinischen Märtyrerdarstellung. Aus<br />

dem exemplum virtutis, das gemeinsame, profane oder kirchliche Normen voraus-<br />

setzte, wurde die Darstellung der Selbstbehauptung des Individuums, die den Tod<br />

<strong>als</strong> »unverzichtbaren Seismograph für kulturhistorische Erschütterungen und Ver-<br />

änderungen« 115 nutzte.<br />

In der weiteren Entwicklung konnte einerseits die Darstellung des Affekts <strong>als</strong><br />

solche in den Mittelpunkt des Interesses treten, bis hin zum Extremfall der Attitü-<br />

denkunst. 116 Wie in der Barockoper tritt auch in der bildenden Kunst mehr und<br />

mehr die neustoische Auffassung der vertu zugunsten der Darstellung extremer<br />

Affekte zurück. 117 In der Romantik schließlich ist das Konzept der <strong>Tugendheldin</strong><br />

endgültig verblasst.<br />

113 Vgl. dazu passim Belting, Hans: Das Bild und sein Publikum im Mittelalter, Berlin 1981; Büttner, Frank:<br />

›Imitatio pietatis‹, Motive der christlichen Ikonographie <strong>als</strong> Modelle der Verähnlichung, Berlin 1983.<br />

114 Es genügt der Hinweis auf Richardsons Clarissa (1748) oder Lessings Emilia Galotti (1772), um zu verdeutlichen,<br />

dass im Zeitalter der Aufklärung die Möglichkeit des Selbstmords zu einer Bestimmung der Individualität<br />

geworden ist, während die in dieser Untersuchung im Mittelpunkt stehenden <strong>Tugendheldin</strong>nen den Selbstmord<br />

noch <strong>als</strong> Teil ihrer sozialen Rolle begriffen. Gleichwohl präfigurieren sie die spätere moralphilosophische<br />

Entwicklung.<br />

115 Schlaeger, Jürgen: »Poetik des Todes, Zur Ästhetisierung des Endes in der englischen Romantik«, in:<br />

Stierle, Karlheinz / Warning, Rainer (Hrsg.): Das Ende, Figuren einer Denkform, München 1996 (Poetik und<br />

Hermeneutik 16), S. 515-527, hier S. 515.<br />

116 Siehe unten S. 294ff.<br />

117 Siehe unten S. 272ff.<br />

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