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Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

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VI Der Neustoizismus: Leitphilosophie der Frühen Neuzeit<br />

genstand allgemeiner Bewertung. Hier, in der Freiheit, sich adäquat zu verhalten<br />

und so den Willen mit der Vorsehung in Einklang zu bringen, manifestierte sich ein<br />

Rest der lutherischen Wertkategorie von der ›Freiheit eines Christenmenschen‹.<br />

<strong>Die</strong> profane barocke Tragödie, in der überwiegend antike Helden auftraten, bot<br />

exempla neustoischer Ethik; das gleichzeitig und durchaus <strong>als</strong> Konkurrenz entwi-<br />

ckelte Jesuitentheater ließ <strong>als</strong> Helden sterbende Märtyrer auftreten, die in der<br />

Nachfolge der passio Christi stehen. Gemeinsam ist beiden theatralischen Er-<br />

scheinungsformen, dass sie thematisch und formal auf die antiken Sammlungen<br />

exemplarischer Todesfälle (exitus illustrium virorum [et feminarum]) zurückgehen.<br />

<strong>Die</strong>se Konzeption des neustoischen Tugendhelden erscheint im in zahlrei-<br />

chen Varianten und Konfigurationen und hat auch die dramatische Behandlung der<br />

›starke Frauen‹ beeinflußt. 90 Besonders die französische Dramaturgie hob dabei<br />

auf die bei weiblichen Helden besonders sinnfällige am Konflikt von Politik und<br />

Liebe konturierbare Opposition von Normen der Gesellschaft (gloire) und Normen<br />

der Individualität (vertu) ab, in der sich ein Grundkonflikt der Frühen Neuzeit abbil-<br />

det.<br />

[gloire und vertu] In barocken Dramen eines Gryphius, eines Lohenstein oder eines<br />

Corneille treten in beispielhafter Weise Protagonisten auf, die der Kontingenz und<br />

Gewalttätigkeit des Lebens entgegentreten und dabei versuchen, ihre Mitte immer<br />

neu zu gewinnen, um ein selbstbestimmtes Subjekt zu bleiben. 91 Es geht der neu-<br />

stoischen Ethik immer wieder darum, dass sich das Subjekt seiner vergewissert,<br />

um gegen fatum und necessitas gewappnet zu sein, und sich von Gegebenheiten<br />

nicht in Unruhe und Angst bringen lässt, die außerhalb seiner selbst und von ihm<br />

nicht zu verantworten sind. Helden barocker Tragödien stellen mustergültig die<br />

Handlungsnormen (virtutes) dar, zu denen Lipsius seine Leser erziehen will. Als<br />

Beispiel sei das Kleopatra-Drama von Daniel Casper von Lohenstein 92 genannt.<br />

Bei Lohenstein ermuntert sich Cleopatra im Beisein ihrer Zofen, die sich abzeich-<br />

nende Verschleppung nach Rom nicht zu ertragen, sondern den Selbstmord zu<br />

wählen:<br />

Nein! Dis zu schaun bin ich zu edel vom Geblütt'<br />

90 Vgl. oben S. 68f., 107f., 122f., 142f., 168f.,<br />

91 »Bonus animus et sibi conscius summum bonum est« (›Eine moralische und selbstbewußte Haltung ist das<br />

höchste Ziel.‹) Justus Lipsius: Epistolarum selectarum centuria prima ad Belgas II,85, Antverpiae, ex officina<br />

Plantiniana, apud Ioannem moretum MDCII (Brief an Ioannes Hemelarius), Wesel 1675 (ND Hildesheim / Zürich<br />

/ New York 2001).<br />

92 Daniel Casper von Lohenstein: Cleopatra, Trauerspiel [Text der Erstfassung von 1661], Stuttgart 1998<br />

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