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Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

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VIII Tema con variazioni – Bildprogramme<br />

und camera delle udienze genannte Vorzimmer, das zum Schlafgemach Marias<br />

führte, war mit alttestamentlichen Fresken (Sephora, Esther, Jaël und Judith), das<br />

Schlafzimmer der Erzherzogin selbst, gewissermaßen <strong>als</strong> Steigerung, ausschließ-<br />

lich mit Märtyrerinnen geschmückt. Bis zur Volljährigkeit Ferdinandos im Jahre<br />

1628 fanden viele Empfänge und repräsentative Veranstaltungen in sala und ca-<br />

mera delle udienze der Villa Poggio Imperiale und nicht im nahe gelegenen Palaz-<br />

zo Pitti statt. Dabei führte die ›weibliche‹ Dekoration der sala und der sich an-<br />

schließenden Räume 91 dem Hof und seinen Gästen Stellung und Selbstbewuss-<br />

tsein der Regentin vor Augen. 92 Zum ersten Mal ergab sich eine Konstellation, die<br />

sich in Frankreich mehrfach wiederholen sollte: Eine Regentin nutzte das ikono-<br />

graphische Programm ›starker Frauen‹ zur Illustration ihrer dynastischen und poli-<br />

tischen Ansprüche. 93<br />

Es ist sicher kein Zufall, dass die französischen Regentinnen aus der Familie Me-<br />

dici, Caterina und Maria, sich an das Modell der Villa Poggio Imperiale erinnerten<br />

und ihre Herrschaftsansprüche gleichfalls ikonographisch durch Darstellungen<br />

›starker Frauen‹ zu legitimieren suchten. <strong>Die</strong> weiblichen Mitglieder der Familie Me-<br />

dici nahmen seit dem 16. Jahrhundert <strong>als</strong> Folge einer gezielten Heiratspolitik an<br />

vielen europäischen Höfen Schlüsselstellungen ein; sie sind für einen politisch wie<br />

kunsthistorisch bemerkenswerten Kulturtransfer aus Italien verantwortlich und ent-<br />

wickelten lange nachwirkende Legitimationsstrategien für Herrschaftsansprüche im<br />

entstehenden absoluten Staat. 94 Der Zufall wollte es, dass in drei aufeinander fol-<br />

89 Von Rutilio Manetti (Katalog 226), heute Florenz (Uffizien).<br />

90 Von Francesco Rustici (Katalog 360), heute Florenz (Uffizien).<br />

91 <strong>Die</strong> Räume Ferdinandos waren im Gegensatz zu denen seiner Mutter mit ›männlichen‹, die dynastischen<br />

Bezüge illustrierenden Fresken ausgestattet.<br />

92 Maria Maddalena d’Austria hatte zusammen mit ihrer Schwiegermutter, Christina von Lothringen, die Vor-<br />

mundschaft inne.<br />

93 »Vergegenwärtigt man sich den Besuch des französischen Gesandten, so empfing der junge Großherzog<br />

inmitten der weiblichen Exempla, wahrscheinlich genau vor Mathilde, Galla Placidia und Semiramis. Das Zeremoniell<br />

ließ ihm formal den Vortritt, womit seine Position <strong>als</strong> Herrscher Bestätigung fand. Durch die Fresken<br />

und Bilder war jedoch ein ›Bildraum‹ entstanden, der auf die positiven Auswirkungen weiblicher Herrschaft<br />

verwies und die politische Situation der Regentschaft legitimierte. In diesem Moment überlagerten sich geschlechtsspezifische<br />

Raumzuweisung mit einem durch das Zeremoniell abgesteckten Handlungsraum. <strong>Die</strong><br />

Regentinnen warteten, <strong>als</strong> dem Großherzog untergeordnete Frauen, in der Camera. Geht man von geradlinigen<br />

Handlungsabläufen aus, so könnten diese durchaus unter Jaël und Judith gesessen haben, die Kraft ihres<br />

Glaubens den Mut hatten, die Feinde ihres Volkes zu töten. <strong>Die</strong>s taten sie jedoch für das Allgemeinwohl und<br />

zur Stabilisierung der herrschenden Ordnung und nicht um selbst Macht zu erlangen. Architektur, Ausstattung<br />

und Zeremoniell konnten in ein Wechselverhältnis treten, das die normativen Grenzen des Geschlechterdiskurses<br />

zugleich überschritt und bestätigte. Durch die Ausnutzung des relativen Freiraums einer Villa hatte<br />

Maria Magdalena v. Österreich sich jedoch einen Handlungsraum geschaffen, der gänzlich ihrer Repräsentation<br />

diente.« (Hoppe, a.a.O., S. 233f.)<br />

94 Ein Kongress (»Le donne Medici nel sistema Europeo delle corti«) hat sich im Oktober 2005 in Florenz mit<br />

diesem Thema ausführlich beschäftigt und verspricht wichtige Erkenntnisse: »La scommessa storiografica è<br />

stata quella di fare del caso toscano un punto di osservazione più generale per valutare l'incidenza delle donne<br />

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