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Die Selbstmörderin als Tugendheldin - eDiss - Georg-August ...

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IX Von der vertu zum Affekt<br />

Didos; vielmehr löscht das Meer die brennenden Ruinen Karthagos, während der<br />

Meeresgott die entfesselten Elemente beruhigt. Fand in der ersten Fassung des<br />

Catone in Utica der Selbstmord des Protagonisten 35 noch auf der Bühne statt, verlegt<br />

bereits die Überarbeitung die Szene hinter die Bühne und lässt sie von Emilia,<br />

der Witwe des Pompejus, berichten. 36 Cato schleppt sich sterbend auf die Bühne,<br />

während die Schlussarie in resignativer Melancholie ausgerechnet von seinem Todfeind<br />

Cäsar gesungen wird. Im Spätwerk Attilio Regolo verzichtet Attilio in der ultima<br />

scena zum Wohl der Republik auf seine Freiheit und erwartet in karthagischer<br />

Gefangenschaft den Tod. <strong>Die</strong> Bühnenhandlung beendet aber der von Metastasio<br />

selbst <strong>als</strong> »parte necessarissima della catastrofe« 37 bezeichnete Chor. Ein neues<br />

Modell des Opernschlusses bildet sich heraus, das den Chor die affetti der handelnden<br />

Personen kommentieren und <strong>als</strong> allgemein gültiges exemplum in größere<br />

Zusammenhänge einordnen lässt. <strong>Die</strong> Handlungslogik tritt demgegenüber zurück.<br />

<strong>Die</strong> von Metastasio entwickelte opera seria 38 beseitigt den lieto fine, reduziert die<br />

handelnden Personen radikal und konzentriert die Handlung auf einen zentralen<br />

Konflikt. <strong>Die</strong> Didone abbandonata 39 kommt, im Gegensatz zur Stoff- und Personen-<br />

fülle bei Busenello und Cavalli, mit sechs statt vierundzwanzig handelnden Perso-<br />

nen aus und entwickelt ein neues Intrigenschema. Neben Didone und Enea treten<br />

Osmida <strong>als</strong> Vertrauter der Didone und Araspe <strong>als</strong> Vertrauter des Iarba auf; beide<br />

wechseln im Verlauf der Handlung die Seite. <strong>Die</strong> Schwester Didones, die bei Vergil<br />

keine selbständige Rolle spielt, erhält unter dem Namen Selene (statt Anna) eine<br />

völlig neue Rolle <strong>als</strong> zweite Liebhaberin. Das Intrigenschema bietet beiden Prota-<br />

gonisten affektive Alternativen: Didone wird von Enea und Iarba, Enea von Didone<br />

und Selene geliebt.<br />

Enea kann sich im e r s t e n A k t nicht dazu entschließen, Didone von seinem bevorstehenden<br />

Aufbruch zu unterrichten. In der Gestalt seines eigenen Gesandten<br />

wirbt Iarba um die ihn abweisende Didone. Osmida, der Vertraute Didones, macht<br />

sich selbst Hoffnungen auf den Thron und unterstützt deshalb Iarbas Rachepläne<br />

gegen Enea, obwohl Araspe, der Vertraute Iarbas, Einwände erhebt. Nach einem<br />

Streit im Palasthof will Iarba Enea im Tempel des Neptun ermorden; der Anschlag<br />

wird von Araspe verhindert. Erst jetzt kündigt Enea Didone seinen bevorstehenden<br />

35<br />

Siehe Metastasio, Pietro: Tutte le Opere, Bd. 1, a.a.O., S. 1404: »in atto di uccidersi«.<br />

36<br />

Durch die Literatur (so z. B. bei Gerhard, Anselm in: »Rollenhierarchie und dramaturgische Hierarchien in<br />

der italienischen Oper«, a.a.O., S. 41) schleppt sich die irrtümliche Behauptung, die Tochter Marzia berichte<br />

den Selbstmord. Ein Blick in den Text Metastasios (III, 11) hätte eines anderen belehren können: »Emilia (ad<br />

Arbace): Principe, aita! / Arbace: Che fu? / Emilia: Muore Catone. / Fulvio: E chi l'uccide? / Emilia: Si feri di sua<br />

mano.« (Metastasio: Tutte le Opere, Bd. 1, a.a.O., S. 185)<br />

37<br />

Brief an Johann Adolf Hasse vom 20. Oktober 1749 (Metastasio, Pietro: Tutte le Opere, hrsg. von Bruno<br />

Brunelli, Milano 1951, Bd. 3, S. 435).<br />

38<br />

Im Gegensatz zu der im 17. Jahrhundert allmählich zum bunten Spektakel verwilderten italienischen Oper<br />

orientiert sich Metastasios opera seria an den Regeln der klassizistischen französischen Tragödie, reduziert<br />

das Personal auf (meist) sechs Sänger, begrenzt die Handlung auf drei Akte (mit höchstens 15 Szenen) und<br />

gliedert klar in Rezitative und Arien (vgl. Schmierer, a.a.O., S. 37ff.). <strong>Die</strong> Arientexte sind bei Metastasio meist<br />

Stanzen, die sich in zwei Teile von je vier Versen mit abgeschlossener syntaktischer Struktur gliedern, deren<br />

erster in der musikalischen Fassung wiederholt werden kann. <strong>Die</strong> Rezitativtexte sind metrisch variabler; oft von<br />

beträchtlicher Länge, wechseln sie Versarten und Rhythmen. Bei den meisten Komponisten werden sie seit<br />

1650 <strong>als</strong> recitativi secchi nur vom Cembalo und eventuell einem anderen Generalbassinstrument (Cello, Fagott<br />

oder Bassgambe) begleitet. (Vgl. dazu Koch, Klaus-<strong>Die</strong>trich: <strong>Die</strong> Aeneis <strong>als</strong> Opernsujet, Dramaturgische<br />

Wandlungen vom Frühbarock bis zu Berlioz, Konstanz 1990, S. 94-96.)<br />

39<br />

Metastasio, Pietro: Tutte le Opere, hrsg. von Bruno Brunelli, Milano 1953, Bd. 1, S. 1-66<br />

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